Atapuerca 4, 5 - Homo heidelbergensis


FUNDFUNDORTALTERENTDECKERDATUM
adultes CraniumSima de los Huesos, Sierra de Atapuerca, Spanienca. 300.000 JahreJuan-Luis Arsuaga8. Juli 1992 und 24. Juli 1993
VERÖFFENTLICHUNG
Arsuaga, J. -L., I. Martinez, A. Gracia, J. -M. Carretero und E. Carbonell, 1993. Three new human skulls from the Sima de los Huesos Middle Pleistocene site in Sierra de Atapuerca.Nature 362: 534 - 537

Ein Glücksfall der besonderen Art trug sich im Norden Spaniens zu. Sierra de Atapuerca heißt ein Höhenzug nahe Burgos. Eisenbahnbauer sprengten sich im 19. Jahrhundert ihren Weg durch den roten Sandstein und dabei legten die Ingenieure ausgedehnte Höhlensysteme frei.

Zwei davon, Sima des los Huesos und die ältere Gran Dolina, entpuppen sich heute als Schatzkammern: Die seit Hunderttausenden von Jahren unberührten Sedimente am Höhlengrund bergen Massen versteinerter Knochen. So ist Atapuerca 5 der vollständigste fossile Schädel aus der Zeit vor dem modernen Homo sapiens und er ist sogar in einem besseren Zustand als die Reste der Cro-Magnon-Menschen, die grob geschätzt nur etwa ein Zehntel seines Alters haben. Doch noch wichtiger ist: Dieser Schädel und über 700 weitere Fossilien von derselben Fundstelle vermitteln den ersten umfassenden Eindruck von der Frühzeit der Neandertaler. Der Schädel trägt den Spitznamen »Miguelón«, nach dem bekannten spanischen Rennradfahrer Miguel Induráin

Die Sima de los Huesos, »Knochengrube«, am Boden eines 15 Meter tiefen Schachtes ist eine bemerkenswerte Fundstelle. Die winzige, niedrige Kammer enthielt die Reste von mindestens 30 Individuen, darunter Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Alle Knochen des Skeletts sind vorhanden, sogar das empfindliche Zungenbein, das man zuvor nur bei dem Neandertalerskelett von Kebara gefunden hatte. Über 70 Prozent aller postkranialen menschlichen Knochen aus dem mittleren Pleistozän (der Zeit vor 700.000 bis 200.000 Jahren) stammen von hier, wodurch Atapuerca die einmalige Gelegenheit bot, alters- und geschlechtsbedingte Unterschiede in einer einzigen menschlichen Population aus jener Zeit zu untersuchen.

1976 suchte der spanische Paläontologe Trinidad Torres hier nach Bärenfossilien – und stieß auf erste menschliche Relikte. Ihr großes Geheimnis gab die 18 Meter tiefe Gran Dolina indes erst preis, als Paläoanthropologen mit systematischen Grabungen in den metertiefen Ablagerungen begannen. Dies sollte sich schließlich auszahlen: Kleine Knochen, zum Beispiel von den Fingerspitzen, überzeugten das Team davon, dass in der Grube vollständige menschliche Skelette zu finden wären.

Im Jahr 1992 wurde das vollständige Schädeldach des Schädels 4 gefunden - ein Anlass, in der Höhle mit Champagner anzustoßen. Am letzten Freilandarbeitstag des Jahres entdeckte die Arbeitsgruppe ganz in der Nähe das Calvarium des Schädels 5. Als die Wissenschaftler zum Saisonabschluss noch einmal zurückkamen und ein wenig gruben, stießen sie auf ein Gesicht, das zum Schädel 5 passte. Als man dann 1993 noch den Unterkiefer entdeckte, war der Schädel 5 komplett.

Atapuerca 5 hat ein breites, klobiges Gesicht mit der weitesten Nasenöffnung aller bekannten menschlichen Fossilien. Der Schädel ist relativ klein und rund. Sein Gehirnvolumen ist mit 1125 Kubikzentimetern geringer als bei allen erwachsenen Menschen von Atapuerca (und sogar kleiner als bei fast allen anderen Homininen des mittleren Pleistozäns aus Afrika, Europa oder Asien), aber sein oberer Eckzahn ist der größte in der ganzen Sammlung - ein Indiz für starke Größenschwankungen bei den einzelnen Individuen. Der Schädel 4 dagegen hat wohl das größte bekannte Gehirnvolumen aller menschlichen Fossilien aus dem mittleren Pleistozän: 1390 Kubikzentimeter. Eine solche Gehirngröße geht über die von Homo erectus hinaus und nähert sich den Verhältnissen bei den Neandertalern. Der Größenunterschied zwischen den Schädeln 4 und 5 ist mit dem zwischen dem Steinheim - und dem Petralona-Schädel vergleichbar.

Manche Eigenschaften der Schädel van Atapuerca lassen Merkmale der "klassischen" europäischen Neandertaler vorausahnen, so der kräftige, in zwei Bögen verlaufende Brauenwulst über den Augen, der vorspringende mittlere Gesichtsteil (besonders auffällig beim Schädel 5), ein gut erkennbarer Nackenwulst auf der Rückseite des Gehirnschädels, abgenutzte Schneidezähne und beim Schädel 5 eine Lücke hinter dem dritten Molaren, die durch die nach vorn verlagerte Gesichtsmitte entsteht. Es fehlt die Vertiefung der Jochbeine über den Eckzähnen (Fossa canina), die bei Jetztmenschen vorhanden ist, nicht aber bei Neandertalern, so dass deren Wangen "aufgeblasen" aussehen. Bei einem anderen Fund aus dieser Sammlung ist die Vertiefung aber vorhanden.

Die Fossilien von Atapuerca zeichnen das Bild eines frühen Stadiums der isolierten Evolution, die ihren Höhepunkt im Auftauchen und Aussterben der Neandertaler fand. In Verbindung mit den Knochen wurden zwar weder Werkzeuge noch andere Indizien für dauerhaften Aufenthalt gefunden, auch waren sie nicht absichtlich bestattet, aber sie durften von Menschenhand in die Grube gelangt sein, womit sie vielleicht ein weiteres Verhaltensmerkmal der Neandertaler vorwegnehmen: die Bestattung der Toten.



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