Saint-Césaire - Homo neanderthalensis


FUNDFUNDORTALTERENTDECKERDATUM
adultes TeilskelettPierrot Felsen, Charente-Maritime, Frankreich36.000 JahreFrancois Leveque27. Juli 1979
VERÖFFENTLICHUNG
Leveque, F und B. Vandermeersch, 1980. Les découvertes de restes humains dans un horizon castelperronien de Saint-Césaire (Charente-Maritime). Bull. Soc. Prehist. Francaise 77:35

Früher der unumstrittene "letzte Neandertaler", musste dieser Fund den Titel Anfang der 1980er Jahre an den Unterkiefer von Zafarraya'>Zafarraya (Spanien) abgeben, der kürzlich auf 33.400 Jahre datiert wurde, wie auch das 34.000 Jahre alte Schläfenbein eines Neandertalers aus Arcy-sur-Cure in Frankreich jünger ist. Dennoch ist das Skelett von Saint-Césaire nach wie vor von entscheidender Bedeutung für die Diskussion über die Frage, was letztlich aus den Neandertalern wurde.

Die Ausgrabungen an dem Felsüberhang begannen 1976, nachdem bei der Verbreiterung einer Straße, die zu einem Champignon-Zuchtbetrieb in den Kalksteinhöhlen des Pierrot-Felsens führt, Steinwerkzeuge ans Tageslicht gekommen waren. Zusammen mit dem Neandertaler entdeckte man viele Säugetierknochen und einige Werkzeuge der Technologie des mittleren und oberen Paläolithikums.

Das Skelett wurde in zusammengekauerter Haltung in einem kleinen, ovalen Grab gefunden. Vorhanden sind noch die rechte Hälfte des Schädels, einige Rippen, ein Schulterblatt, zwei kräftige Armknochen sowie Stücke der Kniescheiben und Schienbeine. Der Schädel zeigt typische Merkmale der Neandertaler: Die Vertiefung über den oberen Schneidezähnen fehlt, die Zahnreihe hat hinter dem dritten Molaren eine Lücke, und der Unterkiefer besitzt kein ausgeprägtes Kinn.

Das Alter der Fundstelle von Saint-Césaire hatte man ursprünglich durch Vergleiche mit der Pflanzenwelt und den archäologischen Funden von anderen Stellen bekannten Alters abgeschätzt; Aufregung gab es jedoch 1991, als man bei dem Skelett gefundene verbrannte Flintsteine mit der Thermolumineszenzmethode auf 36.300 +/- 2.700 Jahre datierte. Wie man aus dieser Datierung und den noch jüngeren Funden von Zafarraya'>Zafarraya und Arcy-sur-Cure erkennt, haben die Neandertaler und der Homo sapiens (Cro-Magnon) in Westeuropa bis zu 10.000 Jahre lang nebeneinander gelebt. Die Frage, wie diese Koexistenz aussah - ob sie friedlich oder gewalttätig, vertraut oder distanziert war - gab Anlass zu vielen Debatten und Spekulationen. Vielleicht waren die Wechselbeziehungen auch in einzelnen Gegenden unterschiedlich geartet.

Für kulturelle Annäherung war die Zeit der Koexistenz sicher mehr als ausreichend, aber sie dürfte zu kurz gewesen sein, als dass die Neandertaler die moderne Morphologie des Cro-Magnon-Menschen hätten entwickeln können. Das Gesicht des Menschen von Saint-Césaire springt weniger stark vor als bei den älteren westeuropäischen Neandertalern, weshalb man vermutet hat, dies könne auf eine Vermischung mit dem Homo sapiens hinweisen. Zwar ist es schwierig, Arten - von Mischlingen ganz zu schweigen - allein anhand der Fossilien zu erkennen, nach der eindeutig unterschiedlichen Anatomie jedoch zu urteilen, waren diese Gruppen biologisch zu verschiedenartig, als dass sie außer der Kultur andere Gemeinsamkeiten haben konnten.

Der Felsüberhang von Saint-Césaire liefert faszinierende Einblicke in die Kultur der späten Neandertaler. Er ist eine der beiden Stellen, an denen man identifizierbare menschliche Überreste in Verbindung mit charakteristischen Werkzeugen des Châtelperronien gefunden hat, wie Speerspitzen und Klingen mit Rücken. Die Châtelperronien-Kultur in Frankreich und Spanien zeigt sowohl Merkmale des früheren, zum mittleren Paläolithikum gehörenden Moustérien, das man allgemein mit den Neandertalern verbindet, als auch solche des späteren Aurignacien, das allgemein als erstes Stadium des oberen Paläolithikums gilt und mit dem modernen Homo sapiens in Verbindung gebracht wird. Vor der Entdeckung des Menschen von Saint-Césaire hatte man die Werkzeuge des Châtelperronien oft den Händen und dem Geist des Homo sapiens zugeschrieben, aber offenbar waren sie die Produkte fleißiger Neandertaler.

Nach einer Interpretation war gerade diese Industrie der Versuch der Neandertaler, die neumodische Technologie nachzuahmen und zu beherrschen, die mit den Jetztmenschen nach Europa vorgedrungen war. Ob sich die Industrie des Châtelperronien in einer Atmosphäre der Konkurrenz oder der Kooperation entwickelte, bleibt ungeklärt, der Fund von Saint-Césaire ist jedenfalls eine Momentaufnahme des körperlichen und kulturellen Übergangs, der vor 40.000 bis 30.000 Jahren in der Bevölkerung Europas stattfand.


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