Der Cro-Magnon-Mensch war weder stärker als der Neandertaler, noch hatte er ein größeres Gehirn. Und doch löste der moderne Mensch nach dem millionen-jährigen Schneckengang früherer Kulturen in nur wenigen tausend Jahren einen technischen Höhenflug aus, der inzwischen zu den Sternen geht. 99 Prozent der bekannten Menschheitsgeschichte waren bereits vergangen, als scheinbar aus dem Nichts hochfeine Werkzeuge aus Stein, Horn und Holz auftauchten, als »zweckfreie« - also künstlerische - Dinge wie elfenbeinerne Figuren oder Höhlenmalereien ohne historische Vorbilder entstanden. All diese kulturellen Leistungen lassen darauf schließen, dass der moderne Homo sapiens dem Neandertaler sowie dem Homo erectus möglicherweise einen kleinen, aber feinen Unterschied voraus hatte: eine präzisere, schnellere, und vielschichtigere Sprache.

Dass auch der Neandertaler zu einer komplexen Sprache fähig war, wird heute kaum mehr angezweifelt. Die Untersuchung ihrer Schädelbasis führte zunächst zu der Hypothese, dass der Kehlkopf der Neandertaler zum Sprechen zu wenig entwickelt war: Bei Jetztmenschen sitzt er tief unten im Hals und ermöglicht ein breites Spektrum von Lauten, aber als einzige Säugetiere können wir deshalb nicht gleichzeitig trinken und atmen, ohne uns zu verschlucken. Aus der Wölbung des Schädels schloss man, der Kehlkopf habe bei den Neandertalern höher gelegen, und der gesamte Stimmapparat sei affenähnlicher gewesen, so dass sie nicht das ganze menschliche Lautspektrum hervorbringen konnten.

Aber dann fand man in einem Grab in Israel (Kebara 2) ein überzeugendes Indiz für die Sprachfähigkeit der Neandertaler: Neben dem Unterkiefer des Skeletts entdeckte man auch das fast vollständige Zungenbein - ein Knochen der nur mit dem weichen Gewebe des Kehlkopfes verbunden ist und als Verankerung wichtiger Sprechmuskeln dient. Das Zungenbein von Kebara lässt sich kaum von dem eines Jetztmenschen unterscheiden. Das heißt, dieser Neandertaler hatte wohl einen modernen Kehlkopf und konnte die ganze Palette der heutigen Sprachlaute hervorbringen.

Unter dem Druck einer gnadenlosen eiszeitlichen Umwelt hatte sich das Neandertaler-Gehirn auf ein gewaltiges Volumen vergrößert. Doch konnten sie die Erkenntnisse, die in diesen zum Teil 1600 Kubikzentimeter großen Denkapparaten gespeichert waren, genau so effizient untereinander austauschen und an die Nachkommenschaft weitergeben, so wie wir das können? Die Meinungen der Forscher gehen hier teilweise beträchtlich auseinander.

Erst mit dem Entstehen der Sprache konnte die ganze geistige Kapazität des Gehirns und die Geschicklichkeit der menschlichen Hand ausgenützt werden. Mehr Köpfe konnten mehr Kenntnisse zusammentragen, also waren größere Gruppen im Vorteil (und das Mehr an Wissen machte auch die Ernährung der größeren Bevölkerung möglich). Ältere Menschen erwiesen sich für Neandertaler und Cro-Magnon-Gruppen trotz körperlicher Schwächen als Vorteil, weil sie die Kenntnisse der Gruppe an die nächste Generation weitergeben konnten, und sie wurden deshalb besser gepflegt.

Vor rund 50.000 Jahren überschritt der Cro-Magnon-Mensch dann die »Grenze der tierischen Notwendigkeit«: Der Kampf ums Dasein war dank der neu erfundenen technischen Hilfsmittel leichter geworden, es blieb erstmals Zeit für Tänze und Spiele, für Rituale und für Erzählungen. Die Basis für diesen kulturellen Höhenflug war eine solide »Wirtschaft«. Die Großwildjagd wurde mit neuen Jagdwaffen wie etwa der Speerschleuder sicherer: Mit diesem »verlängertem Arm« aus Holz oder Horn konnte ein Tier noch aus 30 Meter Entfernung tödlich getroffen werden. Fleisch von großen Tieren wie Mammuts, Wisenten oder Rentieren bildeten nach wie vor die Grundlage des spät-eiszeitlichen Speisezettels. Doch Homo sapiens lernte schnell, andere Leckerbissen zu nutzen: Fische, Muscheln und Vögel stellten die Ernährung auf eine breitere Basis.


Mehr zu den Themen


Die letzten News

Knochen des Tages
HERC NHP 73
HERC NHP 73

Cercopithecus talapoin


Elemente: SKULL
,

18.09.2023
Gehirn | Sprache
Evolution der sprach-relevanten Hirnstrukturen aufgedeckt
Sprache ist ein Aspekt, der uns zu Menschen macht.
17.08.2023
Genetik | Homo sapiens | Stammbaum
Neues vom Mann aus dem Eis: dunkle Haut, Glatze, anatolische Vorfahren
Ötzis Genom wurde 2012 erstmals sequenziert - Die seitdem erzielten technologischen Fortschritte ermöglichten einem Forschungsteam nun eine exaktere Rekonstruktion seines Genoms.
15.08.2023
Anatomie | Genetik
Unterschiedliche evolutionäre Kräfte formen das menschliche Skelett
Das Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen untersucht Skelettmerkmale als möglichen Ersatz für DNA-Analysen.
02.08.2023
Kunst
Figurine zeigt eine neue Gestalt
Mehr als 20 Jahre lang galt das erste aus der Welterbe-Höhle Hohle Fels geborgene Elfenbeinkunstwerk als Pferd – bis Archäologen nun einen neuerlichen Fund gemacht haben.
01.08.2023
Nach der Eiszeit | Homo sapiens | Stammbaum
Stammbäume aus Europas Jungsteinzeit
Die Bestattungen eines jungsteinzeitlichen Gräberfeldes, Gurgy ‘les Noisats’ im heutigen Frankreich, offenbarten unerwartet große Familienstammbäume.
01.08.2023
Erdgeschichte | Fossil
Älteste in ihrer Form erhaltene Mikroorganismen gefunden
Weltweit konnten Forschende erstmals die Form von Mikroorganismen aus der Frühzeit der Evolution vor 1,5 Milliarden Jahren studieren.
31.07.2023
Eiszeit | Paläoökologie
Tiere suchten schon vor mehr als 30.000 Jahren die Nähe zu Menschen
Wilde Tiere gingen Beziehungen zu Menschen ein, lange bevor diese im Neolithikum vor rund 10.
29.07.2023
Sprache
Zum Ursprung indigener Sprachen in Südamerika
Computerlinguist der Universität Tübingen untersucht die Verwandtschaftsbeziehungen der Tupí-Guaraní-Sprachfamilie mit molekularbiologischen Methoden.
28.07.2023
Kultur | Neandertaler
Neues zur Herstellung von Birkenpech-Klebstoff durch Neandertaler
Birkenpech ist eines der ältesten von frühen Menschen künstlich hergestellten Materialien - Die frühesten Belege für Birkenpech werden mit dem Neandertaler in Verbindung gebracht.
28.07.2023
Genetik | Primaten
Das genetische Erbe unserer ausgestorbenen Ahnen
Genfluss einer ausgestorbenen Gorilla-Population zu rezenten Berggorillas entdeckt.