FUNDFUNDORTALTERENTDECKERDATUM
adultes TeilskelettOlduvai-Schlucht, Tansania1,8 Millionen JahreTim D. White21. Juli 1986
VERÖFFENTLICHUNG
Johanson, D.C., F. T. Masao, G. G. Eck, T. D. White, R. C. Walter, W. H. Kimbel, B. Asfaw, P. Manega, P. Ndessokia und G. Suwa, 1987. New partial skeleton of Homo habilis from Olduvai - George, Tanzania. Nature 327: 205-209. DOI: 10.1038/327205a0

Mary Leakey zog sich nach jahrzehntelanger mühseliger Arbeit in der Olduvai-Schlucht aus der Freilandarbeit zurück, um die Veröffentlichungen über ihre Ausgrabungen zu vervollständigen. Sie und ihr Mann Louis hatten dafür gesorgt, dass man in der Schlucht buchstäblich jeden Stein umgedreht hatte - immer auf der Suche nach fossilen und archäologischen Fundstücken. Die Hänge und Wasserläufe des Tales wurden systematisch nach neuen Fossilien abgesucht, die eventuell im Laufe der Zeit durch Erosion ans Tageslicht gekommen waren.

Das Institute of Human Origins wurde 1985 von der Denkmalschutzbehörde Kenias gebeten, sich an neuen Arbeiten in der Olduvai-Schlucht zu beteiligen. Die Arbeitsgruppe war sich der geringen Aussichten auf wichtige Funde durchaus bewusst. Aber nur drei Tage nach Beginn der Expedition, am Nachmittag des 21. Juli 1986, wurde ein Homininenfossil entdeckt dessen Fundort unmittelbar neben einem Weg lag, auf dem buchstäblich Tausende von Touristen und Wissenschaftlern in die Schlucht gekommen waren. Der Norden Tansanias, insbesondere der Ngorongoro-Krater und die Serengeti, zieht gewaltige Touristenströme an, die auf ihren Safaris die afrikanische Tierwelt beobachten und fotografieren. Ein besonderer Höhepunkt dieser Touristenroute ist auch die Olduvai-Schlucht. Nach dem Besuch eines kleinen Museums, das die Arbeiten in dem Gebiet zeigt, werden die Touristen von ihren Reiseleitern in die Schlucht geführt, wo sie wichtige Stellen aufsuchen, beispielsweise die "Zinj-Stelle", an der ein Gedenkstein den genauen Fundort markiert.

Es war wohl einer der größten Zufälle in der Fundgeschichte des Tales: Nur 25 Meter neben des Touristenweges lag auf der Erdoberfläche ein 1,8 Millionen Jahre altes Teilskelett. Das Team identifizierte das erste Fragment als den proximalen Teil der rechten Elle (Ulna). Man begann nun eine energische und akribisch genaue Suche nach weiteren Skelettteilen. Der Fund erhielt die Bezeichnung Olduvai Hominid 62, kurz OH 62, da es der 62. Homininenfund in der Olduvai-Schlucht war. Beim Durchsieben aller lockeren Sedimente in der unmittelbaren Umgebung wurden auf einer Fläche von ungefähr 40 Quadratmetern rund 18000 Knochen- und Zahnbruchstücke entdeckt. Die meisten davon stammten nicht von Homininen, aber 302 wurden als Teile von OH 62 identifiziert. Im Vergleich zu Stücken wie Lucy oder dem Schwarzen Schädel war OH 62 ein Scherbenhaufen. Die Zähne waren zersplittert, dass man, von wenigen Ausnahmen abgesehen, aus den winzigen Stücken keine vollständige Zahnkrone zusammensetzen konnte.

Leider erwies es sich als unmöglich, aus den Fragmenten der Schädeldecke etwas zu rekonstruieren, das auch nur entfernt einem Schädel ähnelte. Man konnte jedoch einige Teilabschnitte des rechten Armes wieder aufbauen, insbesondere den größten Teil des Oberarmknochens sowie Stücke von Elle und Speiche (Radius). Auch ein Teil des linken Oberschenkelknochens (Femur) wurde gefunden, der aus einem Teil des Schenkelhalses und einem Stück des Knochenschaftes bestand. Doch am wichtigsten waren 32 Fragmente, aus denen man den größten Teil des Oberkiefers (Maxilla) rekonstruieren konnte. Die Maxilla ermöglichte auch die Identifizierung von OH 62. Dieser Teil des Gesichtsschädels ähnelt am ehesten den Funden aus der Olduvai-Schlucht und von anderen Stellen, die man Homo habilis zugeordnet hatte. Aus diesem Grund und weil die spezialisierten Eigenschaften robuster Australopithecinen wie die riesigen Molaren völlig fehlten, wurde auch OH 62 als Homo habilis eingeordnet.

Bei OH 62 wurden zum ersten Mal Arm- und Beinknochen gefunden, die mit Sicherheit zusammengehören. Der dritte Molar war durchgebrochen, und wegen der stark abgenutzten Bissflächen der Zähne war klar, dass es sich um einen relativ alten Erwachsenen handeln musste. Die Extremitätenknochen sind jedoch winzig - der Oberschenkel ist sogar noch kleiner als der von Lucy -, und deshalb nahm man an, dass OH 62 weiblich sein muss. Es dürfte sogar der kleinste erwachsene Hominide sein, der jemals gefunden wurde: Die Körpergröße liegt bei schätzungsweise einem Meter.

Die verblüffendste Eigenschaft von OH 62 wurde deutlich, als man die Proportionen von Armen und Beinen berechnete. Sowohl für den Oberarm (Humerus) als auch für das Femur, die beide unvollständig sind, konnte man recht genaue Längenabschätzungen vornehmen. Das Verhältnis von Humerus zu Femur liegt bei 95 Prozent, das heißt, der Oberarmknochen hat 95 Prozent der Länge des Oberschenkelknochens - die Arme waren also sehr lang. Bei heutigen Menschen beträgt der Index etwa 70 Prozent, und bei Vierbeinern wie den Schimpansen liegt er bei 100 Prozent (Oberschenkel und Oberarm sind also gleich lang). Mit derart affenähnlichen Proportionen hatte man bei Homo habilis nicht gerechnet.

Literatur

Johanson, D.C., F. T. Masao, G. G. Eck, T. D. White, R. C. Walter, W. H. Kimbel, B. Asfaw, P. Manega, P. Ndessokia und G. Suwa, 1987. New partial skeleton of Homo habilis from Olduvai - George, Tanzania. Nature 327: 205-209. DOI: 10.1038/327205a0


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