Sechs Jahre nachdem The Origin of Species zum ersten Mal erschienen war und sechs Jahre bevor Charles Darwin The Descent of Man herausbrachte, veröffentlichte der angesehene deutsche Zoologe Ernst Haeckel (1839-1919) ein Buch mit dem Titel Generelle Morphologie wo der erste Stammbaum des Menschen enthalten war.

Der dutsche Zoologe Ernst Haeckel

Er behandelte in seinem Buch die Evolution des Menschen als eine Tatsache und wagte es, über die noch tieferen Rätsel des Lebens und der natürlichen Ordnung Vermutungen anzustellen, auf die Darwins Theorie angewandt werden könnte.

Später erweiterte und entwickelte Haeckel seine Ideen in dem äußerst populären Buch Natürliche Schöpfungsgeschichte, das Darwin dazu veranlasste zu schreiben:

«...wäre die Natürliche Schöpfungsgeschichte vor meinem Essay The Descent of Man erschienen, hätte ich ihn wahrscheinlich nie vollendet. Fast alle Schlussfolgerungen, zu denen ich gekommen war, finde ich durch den deutschen Zoologen bestätigt, dessen Kenntnisse in vielen Punkten weit tiefer sind als meine.»

Auch Eugène Dubois, der Entdecker des berühmten Javamenschen, fühlte sich durch Haeckels Arbeiten inspiriert.

Ein mögliches Stammbaum-Szenario (PDF)

Ernst Haeckel war ein scharfsichtiger und tatkräftiger Wissenschaftler, der einige der Worte und Bilder prägte, durch die die Naturwissenschaften heute definiert sind (so zum Beispiel «Ökologie»). In der Natürlichen Schöpfungsgeschichte konstruierte er den ersten Stammbaum, der die Evolution des Menschen und des Lebens darstellte, von «lebendigen Kreaturen der einfachsten, vorstellbaren Art, Organismen ohne Organe», über einundzwanzig Stufen der Entwicklung bis zum modernen Menschen - der zweiundzwanzigsten und letzten Stufe. Zu Lebzeiten Haeckels waren nur einige wenige Funde von Urmenschen bekannt, zum Beispiel der Neandertaler oder Eugène Dubois´ Javamensch.

Heute wissen wir, dass sich ein bunter Haufen höchst unterschiedlicher Urmenschen in den vergangenen vier bis fünf Millionen Jahren auf dem Stammbaum des Menschen - zunächst ausschließlich in Afrika - tummelte. Lange galt der 1974 in Ostafrika entdeckte Australopithecus afarensis (der "Südaffe aus Afar", Spitzname "Lucy") mit rund 3,7 Millionen Jahren als unser ältester Ahne auf dem Stammbaum des Menschen. Zwei Jahrzehnte später, im Sommer 1995, wurde "Lucy" entthront: in der Evolution und auf dem Stammbaum des Menschen tauchte mit dem 3,9 bis 4,2 Millionen Jahre alten Australopithecus anamensis (dem südlichen Affen vom See) am Turkanasee in Nordkenia ein noch älterer, bereits aufrecht gehender Hominide auf, der in der direkten Vorfahrenlinie sämtlicher Frühmenschen steht. Sensationelle Funde aus dem Tschad, Sahelanthropus tchadensis und Australopithecus bahrelghazali ("südlicher Affe vom Gazellenfluß") erweiterten 1999 und 2001 den Stammbaum des Menschen erneut um ein paar Zweige.

Dagegen wird der 1994 in Äthiopien entdeckte, rund 4,4 Millionen Jahre alte Ardipithecus ramidus ("an der Wurzel stehender Bodenaffe") inzwischen als ein ausgestorbener Seitenzweig unserer Evolution aufgefasst. Dieser vorläufig älteste, zweibeinig auf dem Boden gehende Hominide ist dem gemeinsamen Ursprung der Menschen und Menschenaffen vermutlich sehr nahe.

Wie sich aus den Nachfahren des Australopithecus anamensis und von "Lucy" später im Verlauf der menschlichen Evolution die weiteren Frühmenschenformen auf dem Stammbaum des Menschen entwickelten, ist unter den Experten umstritten. Stammbäume sind Legion, und immer wieder werden neue vorgelegt.

Prominentester deutscher Mitspieler im Spiel um den menschlichen Stammbaum ist der Paläoanthropologe Friedemann Schrenk vom Hessischen Landesmuseum in Darmstadt. "Je nachdem, wer sich wann, wo und wie an der Interpretation menschlicher Fossilien versucht, unterscheiden sich die Resultate erheblich", meint Schrenk. Die Rekonstruktion der Menschheitsgeschichte sei eine Art Denkspiel, bei dem zunächst alles erlaubt sei.

Von Homo erectus bis Homo sapiens. Stammbaum nach Stringer (2012)

Schrenks Lieblingsgedanke ist: Der rund 2,5 bis 1,9 Millionen Jahre alte Homo rudolfensis, von dem sein Team 1991 am Malawi-See einen Unterkiefer entdeckte, nimmt eine zentrale Stelle in der Evolution des Menschen und seinem Stammbaum ein. Mit diesem ältesten Vertreter der Gattung Homo wären unsere Ahnen in Ostafrika zu "echten" Menschen geworden. Möglicherweise begann bereits mit Homo rudolfensis - vor über zwei Millionen Jahren - die Kette mehrerer Auswanderungen aus Afrika.

Dieses Szenario würde die Neudatierung von javanischen Homo erectus-Funden auf ein Alter von 1,8 Millionen Jahren plausibel machen - sie könnten "rudolfensis" -Nachfahren sein. Die Grafik oben gibt ein mögliches Szenario wider, wonach der Homo ergaster vor etwa 1,8 Millionen Jahren Afrika verließ und von Homo rudolfensis abstammt.

Literatur

Stringer, C. (2012). "What makes a modern human". Nature 485 (7396): 33–35. doi:10.1038/485033a


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