Australopithecus sediba


Australopithecus sediba ist die neueste Art eines Australopithecinen, dessen Überreste auf das Pleistozän mit einem Alter von 1,78 bis 1,95 Jahren datiert wurden [2]. Der Fund stammt aus der neu entdeckten Höhle von Malapa ganz in der Nähe von Sterkfontein, einer der berühmtesten Fundorte Südafrikas. Diese an Höhlen reiche Gegend wird auch «Cradle of Humankind» genannt und gehört zum UNESCO Weltkulturerbe der Menschheit.

Die neue Art Australopithecus sediba wurde anhand von zwei teilweise erhaltenen Skeletten beschrieben, die zu einem etwa 11 oder 12 jährigen Jugendlichen (Typusexemplar MH1) und einem weiblichen Erwachsenen (MH2) gehören [1].

Steckbrief Australopithecus sediba
Gehirngröße:
420 cm3
lebte vor:
ca. 1,78 - 1,95 Millionen Jahren
Finder:
Matthew Berger
Holotypus:
MH1
Umwelt:
Südafrika
Fundort:
Höhle von Malapa, Sterkfontein , Südafrika
Matthew Berger, der zum Zeitpunkt der Entdeckung 9 Jahre alt war, ist der Sohn des bekannten Paläoantropologen Lee Berger von der Witwatersrand Universität in Südafrika. Seine Worte "Dad, I found a bone", waren die ersten, die im Zusammenhang mit einem der spektakulärsten Vormenschenfunde der letzten 10 Jahre gesprochen wurden. Australopithecus sediba war etwa 1,30 m groß, wog ca. 30 kg und war wohl hauptsächlich Vegetarier. Er lebte in einer baumbestandenen Buschsavanne, darauf deuten jedenfalls die Tierknochen hin, die mit ihm ausgegraben wurden. Sein Gehirn war etwa 420 cm³ groß, das ist viel weniger als etwa die Gehirngröße der etwa gleichzeitig lebenden ersten Menschenarten wie etwa Homo rudolfensis oder Homo habilis. Das Gehirn von Australopithecus sediba liegt daher im Größenspektrum aller anderen Australopithecinen. Es gibt jedoch einige Abweichungen in Bezug auf die Anatomie der Australopithecinen, die Australopithecus sediba in die Nähe der Gattung Homo rücken - und damit den Fund extrem spektakulär machen. Dazu gehören kleinere Zähne, weniger ausgeprägte Wangenknochen und eine prominentere Nase, sowie längere Beine und Veränderungen im Becken, ähnlich wie beim späteren Homo erectus. Ist Australopithecus sediba etwa ein Bindeglied zwischen Australopithecinen und Menschen? Dies herauszufinden sind nach dem Willen des Entdeckerteams Forscher aller Nationen eingeladen, denn Funde von Vor- und Urmenschen seien Erbe der gesamten Menschheit, und alle hätten das Recht daran mitzuwirken und mitzudiskutieren.

Die beiden Skelette wurden in zwei Beiträgen in der Zeitschrift Science durch den südafrikanischen Paläoanthropologen Lee R. Berger als Australopithecus sediba beschrieben. «Sediba» bedeutet in der südafrikanischen Sprache seSotho soviel wie "natürliche Quelle" [1].

Das erste Exemplar von Australopithecus sediba wurde von Lee Bergers neun-jährigem Sohn Matthew am 15. August 2008 gefunden [3]. Während er die Umgebung der Ausgrabungsstätte erkundete, stolperte der Junge über einen versteinerten Knochen. Matthew rief seinen Vater und der konnte erst nicht glauben, was sein Sohn da gefunden hatte: "Aus der Rückseite des Gesteinsbrockens ragte ein Unterkiefer mit einem Eckzahn! Ich bin vor Aufregung fast gestorben", erinnerte sich Lee Berger später [3]. Der Unterkiefer gehörte einem etwa 1,27 m großen, männlichen Jugendlichen, dessen Schädel bei den nachfolgenden Ausgrabungen im März 2009 gefunden wurde [3].

Australopithecus sediba wurde am 8. April 2010 der Öffentlichkeit vorgestellt. Als erstes Grabungsteam konnte die Swiss Fieldschool des Anthropologischen Instituts der Universität Zürich unter der Leitung von Peter Schmid die neue Fundstelle Malapa nördlich von Johannesburg bearbeiten. Das Zürcher Grabungsteam hat inzwischen mehr als 180 Elemente von mindestens vier Individuen des bisher unbekannten, möglichen Vorfahren des Menschen gefunden [1].

Die Autoren vermuten, dass Australopithecus sediba eine Zwischenform aus der Übergangszeit zwischen südafrikanischen Australopithecinen (Kind von Taung, Mrs. Ples) und späteren Menschenarten (Homo rudolfensis, oder sogar Homo erectus) sein könnte. Australopithecus sediba hat lange Arme wie ein Menschenaffe, kurze kräftige Hände, sowie ein sehr menschenähnliches Becken, das ihn möglicherweise in die Lage versetzte, wie ein moderner Mensch zu gehen oder gar zu rennen. Ober- und Unterschenkel sind nur fragmentarisch erhalten, doch vom Fuß weiß man, dass er sehr primitiv war. Dies deutet u.a. darauf hin, dass Australopithecus sediba wohl noch einige Zeit in den Bäumen verbrachte, etwa zum Schlafen, oder wenn er vor Raubtieren flüchtete [1].

Die gewagten Aussagen, die das Forscherteam über Australopithecus sediba macht, basieren auf Merkmalen, die man einerseits bei der Gattung Homo als auch andererseits bei der Gattung Australopithecus finden kann.


Bildergalerie

Der Schädel des Malapa-Hominiden 1 (MH1)

Brett Eloff

Rekonstruktion des Kopfes

Cicero Moraes et al.

Zusammengesetzt aus 2 Individuen: Holotypus MH1

Archaeomoonwalker

Das Tal von Malapa, Blick nach Norden

Profberger


Eindeutig auf der Seite der Australopithecinen ist das Gehirnvolumen des jugendlichen Schädels, das mit 420 cm³ kleiner ist, als die kleinsten bekannten, etwa 510 cm³ großen Homogehirne und sogar kleiner als Australopithecus africanus, dessen Gehirnvolumen mit etwa 480 cm³ angegeben wird. Der Gesichtsumriss unterscheidet sich hingegen vom Australopithecus durch weniger ausgedehnte Jochbeine und eine schräg nach unten verlaufende Kontur des Oberkiefers. Der Unterkiefer lässt ein stark fliehendes Kinn vermissen und der Eckzahn ist eher schmal und klein.


Malapa Hominin 1 (MH1) links, Lucy (AL 288-1 (Mitte) und Malapa Hominin 2 (MH2) rechts. Bild zusammengestellt von Dr. Peter Schmid mit freundlicher Genehmigung von Lee R. Berger, University of the Witwatersrand.

Die geringe Körpergröße der beiden Skelette mit einem Maximum von etwa 1,30 Meter, ist ebenfalls typisch für die Australopithecinen, wie auch die relativ langen Arme und der Schultergürtel. Das Gelenk des Schulterblatts ist deutlich nach oben gerichtet und die Achselkante ist sehr kräftig. Die Gelenksenden des Oberarms sind massiv. Die Unterarmknochen sind affenähnlich lang. Die Fingerknochen sind robust, gebogen und besitzen starke Ansatzstellen für die Sehnen der Beugemuskeln, was auf kräftige Kletterhände deutet.

Zahlreiche Merkmale des Oberschenkels, des Kniegelenks und des Sprunggelenks lassen vermuten, dass Australopithecus sediba sich ähnlich bewegte wie die übrigen Australopithecinen. Das Sprunggelenk und das Fersenbein sind so geformt, dass der Fuß vermehrt nach innen gedreht werden konnte, was für das Klettern von Vorteil ist. Der Hominine konnte aber auch aufrecht am Boden auf zwei Beinen gehen. Die Beinknochen scheinen allerdings länger zu sein als bei den übrigen Australopithecinen. Das Forscherteam ist der Meinung, dass Australopithecus sediba am ehesten Australopithecus africanus ähnelt, der vor etwa 3,0 bis 2,4 Millionen Jahren in Südafrika lebte und der wahrscheinlichste Vorfahr der neuen Art ist [1].

Anders als die Autoren der Erstbeschreibung, die beide Fossilien als eine mögliche Übergangsform zwischen Australopithecus und Homo interpretierten, sind andere Paläoanthropologen zurückhaltend. Sie geben zu bedenken, dass die neuen Fossilien zu einem späten Zweig der südafrikanischen Australopithecinen gehören könnten und führen an, dass einige Fossilien der Gattung Homo deutlich älter sind als Australopithecus sediba [5]. Gemeint ist der etwa 2,5 Millionen Jahre alte Unterkiefer eines Homo rudolfensis, den der deutsche Forscher Friedemann Schrenk Anfang der 1990er in Malawi entdeckte. Auch würden die neuen Fossilien viel weniger Gemeinsamkeiten mit Homo haben als mit Australopithecus, so die Kritiker, und die Autoren der Erstbeschreibung hätten die enorme Variabilität innerhalb der Spezies Australopithecus africanus nicht berücksichtigt [6]. Darüber hinaus basiere die Beschreibung des Australopithecus sediba weitgehend auf der Skelettanatomie eines Jugendlichen, was immer problematisch sei, da sich Jugendliche weiterentwickelten und so keine Aussagen über bestimmte Arten gemacht werden könnten.

Zusammen mit den Homininen in der Höhle von Malapa wurden die Knochen einer Vielzahl von Tierarten geborgen, darunter Säbelzahnkatzen, Mungos und Antilopen [3]. Lee Berger und einer seiner Co-Autoren, der Geologe Paul Dirks spekulierten, dass die Tiere vielleicht in eine 30 bis 40 m tiefe "Todesfalle" gestürzt waren, angelockt vom Wasser, das sich darin befand [3]. Die Körper könnten dann von schlammigen Wasserströmen mitgerissen und schließlich in einem Kalkwasserbecken abgelagert worden sein. Dort wurden sie dann mit Sedimenten bedeckt und sind versteinert [3]. Besonders gut erhalten sind die Zähne des Unterkieferknochens. Die Forscher vermuten, dass in einer schlammigen Höhle die Zunge eines Homininen lange erhalten bleibt und nicht sofort verwest. Sie könnte die Zähne vor fremden Ablagerungen geschützt haben - und jetzt spekulieren die Wissenschaftler sogar darauf, im erhaltenen Zahnstein von Australopithecus sediba noch Reste von Nahrung zu finden.

Literatur

[1] Berger, L. R.; de Ruiter, D. J.; Churchill, S. E.; Schmid, P.; Carlson, K. J.; Dirks, P. H. G. M.; Kibii, J. M. (2010), "Australopithecus sediba: A New Species of Homo-Like Australopith from South Africa", Science 328 (5975): 195–204, DOI:10.1126/science.1184944.

[2] Dirks, P. H. G. M.; Kibii, J. M.; Kuhn, B. F.; Steininger, C.; Churchill, S. E.; Kramers, J. D.; Pickering, R.; Farber, D. L. et al. (2010), "Geological Setting and Age of Australopithecus sediba from Southern Africa", Science 328 (5975): 205–208, DOI:10.1126/science.1184950

[3] Celia W. Dugger; John Noble Wilford (April 8, 2010). "New Hominid Species Discovered in South Africa". The New York Times. http://www.nytimes.com/2010/04/09/science/09fossil.html?src=mv.

[4] Joyce C (8 Apr 2010). "Odd Fossil May Be Human Ancestor, Or Dead End". http://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=125713226&sc=fb&cc=fp.

[5] Michael Balter (2010). "Candidate Human Ancestor From South Africa Sparks Praise and Debate". Science 328: 154–155. DOI:10.1126/science.328.5975.154.

[6] nature.com from 8 April 2010: "Claim over 'human ancestor' sparks furore.", DOI:10.1038/news.2010.171



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