Forscherteam belegt eine bewegte Geschichte Europas vor und während der letzten Eiszeit


Das internationale Forscherteam untersuchte die DNA von Menschen, die in der Zeit von der Erstbesiedlung des Kontinents bis zum Aufkommen der Landwirtschaft in Europa lebten.


Eine Zusammenarbeit zwischen den Max-Planck-Instituten in Jena und Leipzig und der Universität Harvard erlaubt zum ersten Mal einen umfassenden Einblick in die Populationsgeschichte Europas vor und während der letzten Eiszeit. Das internationale Forscherteam untersuchte die DNA von Menschen, die in der Zeit von der Erstbesiedlung des Kontinents bis zum Aufkommen der Landwirtschaft in Europa lebten. Die Wissenschaftler berichten heute in der Fachzeitschrift Nature über ihre Befunde, die sowohl auf Perioden langer Kontinuität als auch auf bisher unbekannte Bevölkerungsbewegungen hinweisen.


Eiszeitlicher Jäger

Publikation:


Qiaomei Fu et al.
The genetic history of Ice Age Europe
Nature

DOI: 10.1038/nature17993



Moderne Menschen kamen vor rund 45.000 Jahren nach Europa, wo sie auf die Neandertaler trafen. Während diese in der Folge verschwanden, verblieben die neuangekommen modernen Menschen selbst während der kältesten Phase der letzten Eiszeit, als große Teile des Kontinents unter einer Eisdecke lagen, bis in die heutige Zeit in Europa. Da bisher nur sehr wenige genetische Daten von diesen ersten modernen Europäern vorlagen, konnte bislang nicht geklärt werden, wie die Bevölkerung damals zusammengesetzt war und ob Wanderungsbewegungen stattfanden. Mit hochempfindlichen Techniken, die maßgeblich in Deutschland entwickelt wurden, ist es nun einem internationalen Forscherteam erstmalig gelungen, die Genome von mehreren Dutzend modernen Menschen, die in den letzten 40.000 Jahren in Europa lebten, zu entschlüsseln.

Die Aufbereitung der Daten erfolgte größtenteils in den Laboratorien der Max-Planck-Institute in Leipzig und Jena und an der Universität Harvard. “Es war ein großes Privileg mit diesen sehr, sehr alten Knochen arbeiten zu können“, erzählt Qiaomei Fu, Erstautorin der Studie, „und natürlich machte es gerade ihr Alter extrem aufwändig, qualitativ hochwertige Informationen aus ihnen zu gewinnen.“ Fu , die jetzt an der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking arbeitet, hatte die Arbeit an dieser Studie als Doktorandin in Leipzig begonnen und führte sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in Harvard fort.

Die prähistorischen Genome zeigen, dass die ersten modernen Menschen, die Europa besiedelten, keine direkten Vorfahren der heutigen Europäer sind. Von ungefähr 37.000 Jahren vor heute an, sind aber alle untersuchten menschlichen Überreste mindestens teilweise Vorfahren von heutigen Europäern. Trotz dramatischer Klimaschwankungen gibt es eine genetische Kontinuität von vor der Eiszeit zu den 19.000 bis 14.500 Jahre alten Individuen, die nach der Hochphase der letzten Eiszeit Mitteleuropa wieder besiedelten. "Wir vermuten, dass sich die ursprüngliche Bevölkerung Europas während des Letzteiszeitlichen Maximums in Refugien in Süd-Westeuropa zurückzog und von dort aus am Ende der kältesten Phase der Eiszeit West- und Mitteleuropa wieder besiedelte", erläutert Johannes Krause, Direktor am MPI für Menschheitsgeschichte, die neuen Daten.

„Vor dieser Arbeit hatten wir nur einen statischen Blick auf die ersten 30 000 Jahre der Geschichte des modernen Menschen in Europa“, erklärt David Reich, Professor an der Harvard Medical School., „jetzt können wir beginnen zu sehen, wie die Menschen in dieser Periode gewandert sind und sich miteinander vermischt haben.“

Verbindung zum Nahen Osten

Zur Überraschung des Forscherteams fanden sie einen weiteren, bislang unbekannten Wandel der Bevölkerung vor ungefähr 14.000 Jahren. Von da an besteht zwischen Europäern und den heute im Nahen Osten lebenden Menschen eine genetische Verwandtschaft. „Bisher gingen wir davon aus, dass mit der Einführung der Landwirtschaft vor circa 8.500 Jahren, als Bauern aus dem Nahen Osten nach Mitteleuropa einwanderten und die Jäger und Sammler verdrängten, eine genetische Durchmischung erfolgte, aber unsere Daten deuten auf eine weitere 6.000 Jahre frühere Einwanderung hin“, führt Cosimo Posth vom MPI für Menschheitsgeschichte aus.

Es gibt zwei Hypothesen, um die Ursache für diese dramatische Veränderung in der Genetik der frühen Europäer zu erklären – entweder sind Menschen aus dem Nahen Osten nach Europa eingewandert, oder die Menschen aus dem Südosten Europas wanderten zu dieser Zeit sowohl nach Mitteleuropa als auch in den Nahen Osten ein, so dass die Populationen eine größere genetische Verwandtschaft zeigen. Um weitere Aufschlüsse über diese Migration zu erhalten, werden die Forscher in den nächsten Jahren versuchen, menschliche Überreste insbesondere aus Südosteuropa und dem Nahen Osten zu untersuchen.

Rückgang des Neandertaler-Anteils im Genom

Die Daten lieferten noch mehr Überraschungen. „Über einen Zeitraum von 30.000 Jahren ist der Anteil der Neandertaler-DNA im Genom der modernen Menschen kontinuierlich zurückgegangen, ohne dass eine nachweisbare Vermischung mit Menschengruppen ohne Neandertaler-DNA stattgefunden hat. Dies lässt schließen, dass der Rückgang auf Grund natürlicher Selektion erfolgte“, sagt Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. "Es scheint, dass viele genetische Varianten die in den Neandertalern vorkamen für den prähistorischen modernen Menschen nachteilig waren".

Genetische Cluster und steinzeitliche Kulturen

Die Forscher sind einer weiteren, unter Experten seit langem diskutierten Frage nachgegangen. Bislang beruhte die Einordnung in unterschiedliche prähistorische Bevölkerungsgruppen primär auf archäologischen Funden. Die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen oder gleichen Kulturen besagt jedoch nicht zwingend, dass die Menschen unterschiedlichen bzw. der gleichen genetischen Gruppe angehören. Die Wissenschaftler gruppierten die untersuchten menschlichen Überreste deshalb zunächst ausschließlich anhand der Genomdaten und betrachteten erst danach die Zugehörigkeit zu verschiedenen Kulturen. Mit unterschiedlichen Ergebnissen: So konnten einige genetisch definierte Gruppen bestimmten Kulturen zugeordnet werden, z. B. für die als „Mammutjäger Osteuropas“ bekannte Bevölkerungsgruppe, die vor 27.000 Jahren Europa besiedelte, der sogenannten Gravettien-Kultur. In andern Fällen traf dies nicht zu. So fanden die Forscher, dass eine Gruppe in Westsibirien, die kulturelle Ähnlichkeiten zu den Gravettien aufweist, das reichliche Vorkommen der berühmten Venus-Statuetten etwa, nicht besonders nahe mit den Mammutjägern in Osteuropa verwandt war.

Um weitere Aufschlüsse über die Migrationen und Bevölkerungsgeschichte Europas zu erhalten, werden die Forscher jetzt ihre hochempfindlichen Methoden auf Funde aus weiteren Regionen Europas und angrenzenden Teile der Welt anwenden. „Wir sind erst am Anfang. Wir haben quasi das genetische Geschichtsbuch der Steinzeit erst aufgeschlagen“, summieren Johannes Krause und Svante Pääbo, die die Arbeiten in Jena und Leipzig leiteten, ihre Ergebnisse.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt


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