Cerdic

Angelsächsische Migration im 5. Jahrhundert

Cerdic (auch Ceartic, Certic; † 534/554[1]) war im frühen 6. Jahrhundert König der Gewissæ, einer Volksgruppe, die im 7. Jahrhundert als „Westsachsen“ das angelsächsische Königreich Wessex bildete.[2]

Quellenlage

Familie

Cerdic gilt als Stammvater des Hauses Wessex. Nach der Angelsächsischen Chronik war Cynric sein Sohn.[3]

Nach der Anglian Collection war Cerdic ein Sohn des Aluca, dessen mythische Ahnenreihe über Giwis, Brand, Bældæg, Woden auf Frealafing zurückgeht. Cerdics Sohn war der sonst unbekannte[4] Creoda, Vater von Cynric.[5]

Bischof Assers Vita Alfredi fügt zwischen Woden und Frealafing einen Frithowald ein und erweiterte die Ahnenreihe bis zu Adam und Eva.[6]

Herrschaft

Nach der Angelsächsischen Chronik landeten Cerdic und sein Sohn Cynric im Jahr 495 mit fünf Schiffen bei Cerdicesora und setzten sich an der Küste fest.[7] Im Jahr 508 siegten sie bei Natanleaga (Netley Marsh, Hampshire) gegen den britonischen König Natanleod.[8] 514 landeten Cerdics Verwandte (nefum=„Neffen“, oft allgemein für „Verwandter“)[9] Stuf and Wihtgar bei Cerdicesora mit drei Schiffen als Verstärkung.[10]

Im Jahr 519 erhielten Cerdic und Cynric die Königskrone, sodass dieses Jahr als Beginn des Königreiches Wessex gilt. Sie kämpften gegen die Britonen bei Cerdicesford (Charford in Hampshire).[11] Weitere Kämpfe gegen die Britonen folgten 527 bei Cerdicesleaga (Lage unbekannt), ihr Ausgang ist unbekannt.[12] Im Jahr 530 eroberten Cerdic und Cynric in der Schlacht bei Wihtgarabyrg (Carisbrooke) die Isle of Wight.[13] Auf Wight setzte Cerdic Stuf und Wihtgar als Herrscher ein.[9] Cerdic starb im Jahr 534 und Cynric wurde sein Nachfolger.[9][14]

Forschungsstand

England im frühen 6. Jahrhundert

Die Quellenlage wirft einige unlösbare Probleme auf. Die Angelsächsische Chronik wurde fast 400 Jahre nach den tatsächlichen Ereignissen verfasst und viele der dort angegebenen Details müssen als legendär gelten.[14] Ein möglicher historischer Kern wurde in der Überlieferung verzerrt und gibt eher die Vorstellungen des 9. Jahrhunderts über den Ursprung des Königreichs wieder als historische Fakten.[1]

Die Chronologie ist sehr wahrscheinlich fehlerhaft und einige Ereignisse scheinen im Abstand von 19 Jahren doppelt genannt zu werden. So werden z. B. die Landung Cerdics im Jahr 495 und die Landung von Stuf und Wihtgar im Jahr 514 als spätere Abschriftfehler oder Missverständnisse aufgefasst, die auf die Osterberechnung des Dionysius Exiguus zurückgehen, der Ereignisse in 19-jährigen Zyklen gruppierte.[14] Cerdics Regierungszeit von 519 bis 534 deckt sich zwar mit der 16-jährigen Amtszeit in den westsächsischen Königslisten, doch deuten Abweichungen zwischen der Angelsächsischen Chronik und anderen Königslisten darauf hin, dass seine Herrschaft zu früh datiert ist.[14] Eine Datierung von Cerdics „Ankunft“ um 532 und seine Regierungszeit von 538 bis 554 ist vorgeschlagen worden.[1]

Die Ankunft eines Gründerpaares mit alliterierenden Namen und auf wenigen Schiffen gleicht anderen angelsächsischen Ursprungsmythen (z. B. Hengest und Horsa) und ist Bestandteil indoeuropäischer Tradition. Ein weiterer Topos sind von Personen abgeleitete Ortsnamen wie Natanleaga (nach König Natanleod), was wahrscheinlicher „nasser Wald“ bedeutet.[14] Vermutlich ist der umgekehrte Fall richtig, dass die Personen nach bestehenden Ortsnamen benannt wurden.[1]

Ein weiteres Problem stellt der Name „Cerdic“ dar, der die anglisierte Form des keltischen Namens „Caraticos“ ist. Die plausibelste Erklärung hierfür ist, dass Cerdic nicht vom Festland kam, sondern einer Region entstammte, in der eine gemischte Bevölkerung aus Altsachsen und romanisierten Britonen ansässig war. Auf das seit dem 5. Jahrhundert von germanischen Siedlern bewohnte Gebiet um Dorchester-on-Thames an der oberen Themse, wo in späterer Zeit erwiesenermaßen ein frühes Machtzentrum der Gewissæ lag und auch deren erstes Bistum gegründet wurde, trifft dies zu.[14] Auch Cerdics Nachfahren, wie z. B. Ceawlin und Caedwalla, zeigen eine auffällige Häufung keltischer Namen.[15]

Das Reich Cerdics, wenn er tatsächlich erster König der Gewissæ war, ist wahrscheinlicher dort an der oberen Themse und möglicherweise auch am Oberlauf des Avon in Wiltshire[4] zu lokalisieren als im südlichen Hampshire und der Isle of Wight, wo bis ins späte 7. Jahrhundert jütische Dynastien herrschten.[14] Das östliche Wiltshire war bereits um 500 von Sachsen besiedelt.[16] Die Eroberung der Isle of Wight ist offenbar eine spätere Hinzufügung, welche die westsächsische Expansion nach Süden legitimieren sollte.[17]

Im 7. und 8. Jahrhundert scheint es für Thronansprüche entscheidend gewesen zu sein, dass der Prätendent seine Herkunft auf Cerdic zurückführte, auch wenn keine weiteren genealogischen Informationen überliefert wurden.[14] Die Echtheit dieser Abstammungsbehauptungen wird von Historikern jedoch in Frage gestellt.[18]

Quellen

Literatur

  • Barbara Yorke: Wessex in the early Middle Ages (Studies in the Early History of Britain). Continuum, 1995, ISBN 0-7185-1856-X.
  • Barbara Yorke: Kings and Kingdoms of early Anglo-Saxon England. Routledge, London/ New York 2002, ISBN 0-415-16639-X. PDF (6,2 MB)
  • John Cannon, Anne Hargreaves: The Kings and Queens of Britain. 2. überarb. Auflage. Oxford University Press, 2009, ISBN 978-0-19-955922-0, S. 24.
  • Lapidge u. a. (Hrsg.): The Blackwell Encyclopaedia of Anglo-Saxon England. Wiley-Blackwell, Oxford u. a. 2001, ISBN 0-631-22492-0. (insbes. Barbara Yorke: Cerdic, S. 93)
  • D. P. Kirby: The Earliest English Kings. Routledge, London/ New York 2000, ISBN 0-415-24211-8.
  • D. N. Dumville: The West Saxon genealogical regnal list and the chronology of early Wessex. In: Peritia. 4/1985, S. 21–66.
  • Barbara Yorke: The Jutes of Hampshire and Wight and the origins of Wessex. In: Steven Bassett (Hrsg.): The origins of Anglo-Saxon kingdoms. Leicester University Press, 1989, ISBN 0-7185-1317-7, S. 84–96.
  • R. Coates: On some controversy surrounding Gewissae/Gewissei, Cerdic and Ceawlin. In: Nomina. 13 (1989–1990), S. 1–11.

Weblinks

Anmerkungen

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Barbara Yorke: Kings and Kingdoms of early Anglo-Saxon England. Routledge, London/ New York 2002, ISBN 0-415-16639-X, S. 3–4.
  2. Simon Keynes: Kings of the West Saxons. In: Lapidge u. a. (Hrsg.): The Blackwell Encyclopaedia of Anglo-Saxon England. Wiley-Blackwell, Oxford u. a. 2001, ISBN 0-631-22492-0, S. 511–514.
  3. Angelsächsische Chronik zum Jahr 688
  4. 4,0 4,1 Barbara Yorke: Kings and Kingdoms of early Anglo-Saxon England. Routledge, London/ New York 2002, ISBN 0-415-16639-X, S. 131–132.
  5. Anglian Collection
  6. Asser: Vita Alfredi; The Life of King Alfred (Memento des Originals vom 21. Oktober 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/omacl.org bei Online Medieval and Classical Library (englisch)
  7. Angelsächsische Chronik zum Jahr 495
  8. Angelsächsische Chronik zum Jahr 508
  9. 9,0 9,1 9,2 Angelsächsische Chronik zum Jahr 534
  10. Angelsächsische Chronik zum Jahr 514
  11. Angelsächsische Chronik zum Jahr 519
  12. Angelsächsische Chronik zum Jahr 527
  13. Angelsächsische Chronik zum Jahr 530
  14. 14,0 14,1 14,2 14,3 14,4 14,5 14,6 14,7 Barbara Yorke: Cerdic@1@2Vorlage:Toter Link/www.oxforddnb.com (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (kostenpflichtige Registrierung erforderlich). In: Oxford Dictionary of National Biography, Oxford University Press, 2004. abgerufen am 13. November 2011
  15. Barbara Yorke: Wessex in the early Middle Ages (Studies in the Early History of Britain). Continuum, 1995, ISBN 0-7185-1856-X, S. 49.
  16. Barbara Yorke: Wessex in the early Middle Ages (Studies in the Early History of Britain). Continuum, 1995, ISBN 0-7185-1856-X, S. 32.
  17. Barbara Yorke: Kings and Kingdoms of early Anglo-Saxon England. Routledge, London/ New York 2002, ISBN 0-415-16639-X, S. 155.
  18. Barbara Yorke: Kings and Kingdoms of early Anglo-Saxon England. Routledge, London/ New York 2002, ISBN 0-415-16639-X, S. 142.

Skriptfehler: Ein solches Modul „Vorlage:Personenleiste“ ist nicht vorhanden.

Die News der letzten Tage