Ausgrabung auf der Mader Heide

Mader Heide

Die Ausgrabung auf der Mader Heide war 1708[1] eine der frühesten „wissenschaftlichen“ archäologischen Ausgrabungen in Deutschland.

Befund

Ausgrabung

Landgraf Karl I. von Hessen-Kassel
Funde aus der Grabung von 1708

Landgraf Karl ließ 1708 auf der Mader Heide bei Maden, östlich von Gudensberg in Nordhessen, Ausgrabungen durchführen.[2] Der Platz bot sich für eine Forschung zur frühesten Geschichte Hessens an: Hier hatten die Landstände der Landgrafschaft Hessen getagt und der Ort war bis ins Mittelalter Thingplatz gewesen. Zudem hielt man den Ort für einen chattischen Kultplatz und das Zentrum des „Chattengaues“, also das historische Zentrum Hessens. Man vermutete, dass er identisch mit dem von Tacitus erwähnten Mattium sei.

Im Beisein des Landgrafen wurden mehrere Grabhügel geöffnet. Zu Tage kamen Steingeräte, Gefäße und drei Skelette. Letztere lagen in Bauchlage im größten der Hügel, etwa einen Meter über den Keramikgefäßen.[3] Die Gegenstände wurden in das Ottoneum in der Residenzstadt Kassel gebracht, das der Landgraf als „Kunsthaus“ zur Aufbewahrung seiner Sammlungen nutzte. Steingeräte und Gefäße gelangten so in das Hessische Landesmuseum in Kassel und sind dort erhalten.[4] Derartige Grabungen waren damals nichts Ungewöhnliches und sind auch andernorts, auch in Hessen,[5] bezeugt.

Deutung

Es war mit dem Wissensstand und den Methoden, die Anfang des 18. Jahrhunderts verfügbar waren, nicht möglich, die Funde zutreffend einzuordnen. Heute dagegen können sie mit einiger Sicherheit drei Zeitstufen zugeordnet werden:[6]

  • Steingeräte und der überwiegende Teil der Gefäße der Schnurkeramik,
  • einige Gefäße der Hallstattzeit; sie stammen vermutlich aus Nachbestattungen und
  • die drei Skelette. Sie stammten vermutlich von Hinrichtungen aus dem späten Mittelalter oder der frühen Neuzeit.

Die damaligen Deutungen versuchten, den Fund an bekannte Textquellen anzuhängen.[7] So wurden sie als römisch oder als von den Chatten stammend eingestuft,[8] die Mader Heide als das campus Mattiacus, die Hauptstadt der Chatten, gedeutet.[9] Das Neolithikum war noch nicht bekannt.

Wirkungsgeschichte

Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Grabung erfolgte 1714 in der Dissertation „De urnis sepulchralibus et armis lapideis veterum Cattorum“. Deren Autorenschaft ist umstritten. Die gründlichste Untersuchung dazu weist sie Johann Hermann Schmincke (1684–1724) zu. Aber auch Johann Österling (1691–1751)[10] wurde als Autor vermutet. Der Bearbeiter ging erstmals über den Ansatz hinaus, die Funde an bekannte Textquellen anzuhängen. Vielmehr versuchte er, die Funde selbst als Quelle zu nutzen, so wie das die Archäologie als Wissenschaft noch heute tut.[11] Der Autor erkannte klar, dass die Skelette nach den Keramikgefäßen in den Boden gekommen sein müssen, weil sie über ihnen lagen. Er schloss daraus auf die Kontinuität des Bestattungsplatzes über die Christianisierung hinaus: Die Keramikgefäße deutete er als Überreste von Brandbestattungen heidnischer Chatten,[12] die Körperbestattungen als die von christianisierten Nachkommen der Brandbestatteten. Dagegen hatte er erhebliche Schwierigkeiten in der Deutung der Steingeräte. Er hielt sie für Waffen, die aus Stein gefertigt wurden, weil Eisen knapp gewesen sei.[13]

Die Ausgrabung auf der Mader Heide gilt wegen dieses damals neuen methodischen Ansatzes als Ursprung moderner hessischer Urgeschichtsforschung.[14] Sie wurde deshalb in der Fachliteratur vielfach rezipiert.[15]

Literatur

  • Gabriele Dolff-Bonekämper: Die Entdeckung des Mittelalters. Studien zur Geschichte der Denkmalerfassung und des Denkmalschutzes in Hessen-Kassel bzw. Kurhessen im 18. und 19. Jahrhundert. Hessische Historische Kommission, Darmstadt / Historische Kommission für Hessen, Marburg 1985, ISBN 3-88443-149-8 (= Dissertation Marburg 1984).
  • Conrad Mel: Urnae Mattiacae oder Gedancken über die Madische Töpffe, welche Anno 1708 auf dem Drisch zwischen Gudensberg und Maden ausgegraben wurden, auß denen Historischen Antiquitäten erkläret und vorgestellt. (Verlorenes handschriftliches Manuskript)[16]
  • Wilhelm Niemeyer (Hrsg.): Johann Hermann Schminckes und Johannes Österlings Dissertation über die Graburnen und Steinwaffen der alten Chatten vom Jahre 1714. 250 Jahre Vorgeschichtsforschung in Kurhessen (= Kurhessische Bodenaltertümer 4). Marburg 1964.
  • Johann Hermann Schmincke: De urnis sepulchralibus et armis lapideis veterum Cattorum. Leipzig 1714 (Digitalisat).

Einzelnachweise

  1. Dolff-Bonekämper: Die Entdeckung des Mittelalters, S. 9, nennt versehentlich das Jahr 1709.
  2. Schmincke: De urnis sepulchralibus, S. 4; Dolff-Bonekämper: Die Entdeckung des Mittelalters, S. 9.
  3. Schmincke: De urnis sepulchralibus, S. 4.
  4. Niemeyer (Hrsg.): Johann Hermann Schminckes und Johannes Österlings Dissertation, S. 65.
  5. Trogillus Arnkiel: Cimbrische Heiden-Begräbnisse. Hamburg 1702, S. 263, berichtet von Funden aus dem Jahr 1674, die bei „Hirschfeld“ (gemeint ist vermutlich: Hersfeld) ergraben wurden.
  6. Niemeyer (Hrsg.): Johann Hermann Schminckes und Johannes Österlings Dissertation, S. 65.
  7. So Mel: Urnae Mattiacae; vgl.: Niemeyer (Hrsg.): Johann Hermann Schminckes und Johannes Österlings Dissertation, S. 59.
  8. So Mel: Urnae Mattiacae; vgl.: Niemeyer (Hrsg.): Johann Hermann Schminckes und Johannes Österlings Dissertation, S. 62.
  9. So Mel: Urnae Mattiacae; vgl.: Niemeyer (Hrsg.): Johann Hermann Schminckes und Johannes Österlings Dissertation, S. 62.
  10. Niemeyer (Hrsg.): Johann Hermann Schminckes und Johannes Österlings Dissertation, S. 59.
  11. Niemeyer (Hrsg.): Johann Hermann Schminckes und Johannes Österlings Dissertation, S. 63.
  12. Schmincke: De urnis sepulchralibus, S. 11, 24f.
  13. Schmincke: De urnis sepulchralibus, S. 27.
  14. Niemeyer (Hrsg.): Johann Hermann Schminckes und Johannes Österlings Dissertation, S. 63.
  15. Niemeyer (Hrsg.): Johann Hermann Schminckes und Johannes Österlings Dissertation, S. 66f. listet 29 Werke mit den Erscheinungsjahren 1719 bis 1960, die auf die Ausgrabungen in der Mader Heide Bezug nehmen.
  16. Angeführt nach Niemeyer, S. 37 Anm. 12.

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