Entschlüsselung von 6000 Jahre alten Rezepten

Presseldung vom 28.11.2018

Neue Proteinanalyse-Methode offenbart prähistorisches Fischrezept.


Verbrannte Speisereste werden sehr oft anhaftend an Gefäßscherben auf archäologischen Ausgrabungen gefunden. Die Analyse ihres Proteingehalts hilft uns, viele Aspekte des vorgeschichtlichen Lebens zu verstehen. Um eine Keramikschale mit verbrannten Speiseresten zu analysieren, die an einer archäologischen Fundstelle im Land Brandenburg in Deutschland gefunden wurde, kontaktierten Wissenschaftler des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums (BLDAM) die Massenspektrometrie-Experten am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden. In der Regel bietet der Massenspektrometrie-Bereich einen Service für Wissenschaftler.


Rasterelektronenmikroskopisches Bild der Struktur der Lebensmittelkruste vom Rand des historischen Topfes. Pflanzenreste deuten darauf hin, dass der Topf wahrscheinlich mit Blättern bedeckt war.

Publikation:


Anna Shevchenko, Andrea Schuhmann, Henrik Thomas, Günter Wetzel
Fine Endmesolithic fish caviar meal discovered by proteomics in foodcrusts from archaeological site Friesack 4 (Brandenburg, Germany)
PLOS ONE, 28 November 2018

DOI: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0206483



Das Team um Anna Shevchenko am MPI-CBG entwickelte eine neue Proteomik-Analyse, mit der über 300 Proteine identifiziert werden können, und die auch antike und heutige Proteine unterscheidet. Auf diesem Weg fanden die Forscher in den verkohlten Überresten prähistorischer Nahrung Fischrogen eines Karpfens. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in der Fachzeitschrift PLOS ONE.

Nahrungsmittelkrusten sind verbrannte Speisereste, die auf archäologischen Keramikgefäßen zu finden sind. Sie sind sehr schwer zu analysieren, da ältere Proteine durch den Kochvorgang und durch die natürliche Alterung weitgehend abgebaut und mit Verunreinigungen aus der Umwelt, wie zum Beispiel Bodenbakterien oder Pflanzen, vermischt werden. 1979 hatten Archäologen Fragmente von 6000 Jahre alten Tongefäßen am Standort Friesack 4, einer archäologischen Stätte bei Berlin in Deutschland, entdeckt. Dieser Fundort ist für die hervorragende Erhaltung zahlreicher Artefakte, überwiegend aus der Mittelsteinzeit, bekannt.

Für die Nahrungsmittelspuren gab es zu dieser Zeit noch kein Analyseverfahren. So mussten die Keramikgefäße bis 2013 warten. Inzwischen waren leistungsstarke Technologien zur Proteinanalyse entwickelt worden. Nun kamen die Wissenschaftler des Massenspektrometrie-Bereiches am MPI-CBG ins Spiel. Die brandenburgischen Kollegen konfrontierten sie mit der Aufgabe, die Essensreste auf einer kleinen Tonschale zu analysieren.

Am wichtigsten war es den Wissenschaftlern, den Inhalt der Keramikgefäße zu identifizieren. Gleichzeitig galt es die Herkunft und Verarbeitung alter Lebensmittel zu ermitteln. Überreste alter Lebensmittel helfen uns, viele Aspekte des Lebens der europäischen Vorgeschichte zu verstehen, wie zum Beispiel den komplexen Wandlungsprozess der Jäger und Sammler zu einer sesshaften Gesellschaft, Ernährungs- und Kochpraktiken, die Rolle von natürlichen Rohstoffen in der Wirtschaft oder die Domestikation von Tieren und Pflanzen.

Anna Shevchenko erklärt die Herausforderungen bei der Analyse von Speiseresten: „Wir mussten uns mit der Frage auseinandersetzen, wie Lebensmittelproteine in verkohlten Ablagerungen auf archäologischen Scherben überleben können und wie wir die ursprünglichen Proteine von modernen Verunreinigungen wie menschlicher Haut, Speichel oder Pflanzen, die einst auf dem Ausgrabungsfeld angebaut wurden, unterscheiden können.“ Durch den quantitativen Nachweis altersspezifischer chemischer Veränderungen konnten die Wissenschaftler nicht nur zeitgenössische Schadstoffe ausschließen. Sie entwickelten auch eine völlig neue Analysemethode für Proteine, mit der die wesentlichen Bestandteile der Lebensmittelrückstände identifiziert werden konnten.

Diese neu entwickelte Proteomik-Analyse für Nahrungsmittelkrusten identifizierte etwa 300 Proteine in der 6000 Jahre alten Keramikschale. Dies ermöglichte eine Bewertung der biologischen Herkunft und der verwendeten Lebensmittelverarbeitung. Die Forscher fanden dabei Fischproteine, die zum gemeinen Karpfen und speziell auf dessen Kaviar oder Rogen passten. Die Analyse fand jedoch keine Hinweise auf eine Fischgärung, was darauf hindeutet, dass man das Lebensmittel höchstwahrscheinlich mit Hitze verarbeitet hatte.

Größe und Form der Keramik, eine verkohlte Kruste und die Identifizierung eines bestimmten Fischproteins deuteten darauf hin, dass empfindliches Karpfenrogen in einer kleinen Menge Wasser oder Fischbrühe gekocht worden war. Zusätzlich wurden elektronenmikroskopische Bilder angefertigt, die darauf hindeuten, dass der Topf wahrscheinlich mit Blättern bedeckt war. Bei der Analyse anderer Topfscherben aus der Umgebung konnte auch Schweinekollagen nachgewiesen werden, was darauf hindeutet, dass Schweinefleisch mit Knochen, Sehnen oder Haut in dieser Keramik gekocht wurde. Dies passt gut zu weiteren zooarchäologischen Artefakten aus der Stätte Friesack 4, zu der auch Wildschweinknochen gehören, und unterstützt die Annahme, dass diese Stätte als Jagdstation gedient hat.

„Dass die Untersuchungen mit der neuen Methode so erfolgreich am Beispiel über 6000 Jahre alter Keramik von der Fundstelle bei Friesack durchgeführt werden konnten, dürfte ein Meilenstein in der Annäherung an die Lebensgewohnheiten unserer Jäger- und Sammler-Vorfahren sein“, erklärt Günter Wetzel, ehemaliger Archäologe des BLDAM und Co-Autor der Studie. Er fährt fort: „Gleichzeitig mahnt sie den Ausgräber, noch sorgfältiger mit den Funden bereits ab der Auffindung auf der Ausgrabung umzugehen, um derartige Untersuchungen später überhaupt zu ermöglichen. Hier kam der Naturwissenschaftlerin zugute, dass der Ausgräber und ehemalige Direktor des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam, Bernhard Gramsch, die Keramik nach der Auffindung nicht waschen ließ.“

Anna Shevchenko fasst zusammen: „Diese Studie bietet Archäologen und Anthropologen neue analytische Instrumente zur Untersuchung von Ernährungsgewohnheiten in prähistorischen Gesellschaften. Außerdem verbessert das neue Analyseverfahren unsere Fähigkeit, Proteome aus Umweltproben von Organismen mit unbekannten Genomen zu analysieren. Die Methode eröffnet neue Perspektiven für proteomische Studien an unkonventionellen biologischen Proben in den Lebens- und Medizinwissenschaften, bei denen Proteine in mineralischen Materialien wie Zähnen oder Knochen oder Muscheln eingeschlossen sind.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt


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