Deutschland war schon vor 450.000 Jahren von Gletschern bedeckt

Presseldung vom 29.03.2018

Mithilfe modernster Datierungstechniken haben Forscher des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie neue Daten zum zeitlichen Ablauf der Elster- und Saale-Eiszeit in Mitteldeutschland gewonnen. Die Forscher haben herausgefunden, dass die erste Vereisung im Quartär, die weite Teile Europas mit Eis bedeckte, bereits vor 450.000 Jahren stattgefunden hat und nicht – wie bisher angenommen – vor etwa 350.000 Jahren. Die Forscher zeigen weiterhin, dass die ersten Menschen Mitteldeutschland nach dem Rückzug dieser Gletscher vor etwa 400.000 Jahren besiedelten.


Die zeitlichen Abläufe der Kalt- und Warmzeitzyklen während des von 780.000 bis 125.000 Jahren dauernden Mittelpleistozäns und die Rückkopplungsmechanismen zwischen Klimaverschiebungen und erdoberflächennahen Prozessen sind noch wenig erforscht. Das liegt vor allem daran, dass bisher nur wenige chronologische Daten aus Sedimentarchiven, die eiszeitliche, aber auch potenziell wärmere Klimaperioden repräsentieren, erhoben werden konnten.


Ein Findling in der Kiesgrube Rehbach in Sachsen, der vor etwa 450.000 Jahren von Gletschern aus Skandinavien dorthin transportiert worden ist.

Publikation:


Tobias Lauer & Marcel Weiss
Timing of the Saalian- and Elsterian glacial cycles and the implications for Middle – Pleistocene hominin presence in central Europe
Scientific Reports; 23 March, 2018

DOI: 10.1038/s41598-018-23541-w



„Die mitteldeutschen Quartärsedimente sind für uns nahezu perfekte Archive. Sie helfen uns dabei, Klimaverschiebungen zu verstehen, die sich in den letzten 450.000 Jahren in der Region ereignet haben“, sagt Ko-Autor Tobias Lauer, Geochronologe am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. „Denn hier sind alle Sedimente erhalten, die das Vordringen skandinavischer Gletscher nach bzw. ihren Rückzug aus Europa dokumentieren.“ Diese Ablagerungen sind in der mitteldeutschen Region und insbesondere im Gebiet um Leipzig durch zehntausende Bohrungen aus der Vorwendezeit und den frühen 1990er Jahren sowie Profilbeobachtungen im Zuge des vormaligen Braunkohleabbaus sehr gut dokumentiert.

Für die Forscher besonders relevant sind die Flussablagerungen lokaler Flüsse wie der Weißen Elster und der Saale, die zwischen den Moränen der sogenannten Elster- und Saale-Eiszeit erhalten geblieben sind. „Vor allem der Zeitpunkt der ersten großen Vergletscherung ist in den letzten Jahrzehnten unter Fachleuten heftig diskutiert worden“, sagt Lauer. „Eine systematische Datierung der Flussablagerungen ergab nun, dass die Gletscher der Elstervereisung Mitteldeutschland schon innerhalb des Marinen Isotopenstadiums 12 vor etwa 450.000 Jahren erreichten, und die Region schon etwa 100.000 Jahre früher von kilometerdickem Eis bedeckt war, als bisher angenommen“. Zur Datierung nutzten die Forscher die Lumineszenz-Methode, mit deren Hilfe bestimmt werden kann, wann und über welchen Zeitraum hinweg Mineralkörnchen zuletzt dem Sonnenlicht ausgesetzt waren.

Die Flussablagerungen enthalten auch Steinartefakte aus dem Alt- und Mittelpaläolithikum, die wichtige Informationen über die frühe menschliche Ausbreitung in Mitteleuropa liefern. „Die ersten Spuren der altsteinzeitlichen Besiedlung dieses Gebiets durch Menschen reichen bis etwa 400.000 Jahre zurück. Die Besiedlung fand höchstwahrscheinlich während der Warmzeit statt, die der ersten großen Vergletscherung folgte“, sagt Ko-Autor Marcel Weiss, Archäologe am Leipziger Max-Planck-Institut. „Diese Spuren werden durch mehr als 6.000 altsteinzeitliche Steinartefakte belegt, die in den Kiesgruben von Wallendorf und Schladebach in Sachsen-Anhalt gefunden wurden.“

Werkzeuge aus der Altsteinzeit

Steinartefakte aus der mittleren Altsteinzeit aus Flussablagerungen der Region sind den Forschern zufolge 300.000 bis 200.000 Jahre alt und deuten auf die Anwesenheit des Neandertalers hin. Flusskiesablagerungen aus den oberen Sedimentschichten des ehemaligen Braunkohletagebaus Zwenkau, das südlich von Leipzig in Sachsen liegt, enthielten die ältesten mittelpaläolithischen Steinwerkzeuge. Dieser Fundkomplex, der als Steinartefaktinventar von "Eythra“ bekannt ist, enthält zahlreiche Faustkeile, deren Alter die Forscher nun auf etwa 280.000 Jahre datieren konnten.

Die jüngsten Sedimente, aus denen die Forscher die neuen Daten gewonnen haben, gehören zur sogenannten Saale-Vereisung. Vor etwa 150.000 Jahren stießen die skandinavischen Gletscher nochmals nach Mitteldeutschland vor. „Unsere Daten werden einen großen Einfluss auf das Verständnis der zeitlichen Abläufe von Eiszeitzyklen und Klimaveränderungen im eiszeitlichen Europa haben“, so die Autoren. „Die erste große Vergletscherung hatte riesige Auswirkungen auf die Umwelt und veränderte die gesamte Landschaft. Das neu ermittelte Alter der Funde aus der älteren und mittleren Altsteinzeit wird uns zukünftig dabei helfen zu rekonstruieren, wie die Menschen Mitteldeutschland und Mitteleuropa nach diesen großen Klimaereignissen besiedelt oder wieder besiedelt haben.“

Dank der neuen Datierungen können Wissenschaftler nun auch erforschen, wie sich Menschen an die Klimaverschiebungen zwischen Kalt- und Warmzeiten während des Mittelpleistozäns vor etwa 450.000 bis 150.000 Jahren angepasst haben.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt


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