Totenhütte

Als Totenhütten werden in der deutschen Ur- und Frühgeschichtsforschung Bauten bezeichnet, die für Bestattungen benutzt wurden.

Der Begriff wurde 1928 durch Hans Reinerth (1900–1990) für die schnurkeramischen Schweizer „Totenhäuser“ von Sarmenstorf geprägt. Er nahm an, dass die Grabbauten die Häuser (oder Hütten) der Lebenden nachahmten. In den ostdeutschen Bundesländern werden parallel auch die Begriffe Bohlen- und Mauerkammergrab verwandt.

Totenhütte (Bohlenkammer) und Mauerkammergrab

Neolithikum

Grundriss der Totenhütte von Benzingerode aus der Bernburger Kultur
Datei:Leubingen-rekonstruktion-totenhütte.jpg
Rekonstruktion der Totenhütte von Leubingen

In der Jungsteinzeit Mitteleuropas kam das Kollektivgrab in verschiedenen Grabformen auf, darunter ragt die Grabform "Totenhütte" (bzw. das "Totenhaus") hervor. Allein in Thüringen sind mittlerweile über zwanzig solcher Anlagen bekannt.[1] Die spätneolithische, als Kollektivgrab angelegte Totenhütte wird von Mario Küßner, Museumsleiter des Museum für Ur- und Frühgeschichte Thüringens, als ein "über längere Zeit für sukzessive Bestattungen – und wohl auch Feierlichkeiten – zugänglicher halbeingetiefter Raum" definiert. Die Ausführung der Anlage – als Mauerkammer oder Bohlenkammer etwa –, das beim Bau der Totenhütte verwendete Material ("Stein, Holz oder Mischbauweise") bzw. die Ausgestaltung der Grabanlage ("Größe, Pflasterungen, Parzellierungen, Dachform, Überschüttung") erfolgten, den "örtlichen und regionalen Vorlieben und Gegebenheiten angepasst", sehr unterschiedlich. Nach Küßner bieten die "thüringischen, sachsen-anhaltinischen sowie die weiter westlich und südwestlich gelegenen Anlagen, oft als Umsetzungen der Megalithik mit den regional zur Verfügung stehenden Baumaterialien und unter Aufnahme von Ideen aus entfernteren Gegenden, selbst in Kleinregionen dafür reiche Befunde".[2]

In der Trichterbecherkultur (TBK) wurden Totenhütten unter anderem in der Bernburger Kultur gebaut. Sie sind im Gebiet zwischen Weser und Saale, insbesondere in Thüringen verbreitet. Hans-Jürgen Beier bezeichnet die Totenhütten der Bernburger Kultur als pseudomegalithisch. Die eingesenkte „mitteldeutsche Mauerkammer“ stellt er den hessisch-westfälischen Galerieanlagen gleich und sieht in ihr eine Megalith-Imitation. Zu dieser Gattung zählt er neben der Anlage von Odagsen, Landkreis Northeim etwa ein Dutzend weiterer Anlagen. Er unterscheidet Mauerkammer- und Trockenmaueranlagen. Auch aus Dänemark sind Totenhütten bekannt. Hier ist besonders Vroue Hede I + II in Jütland zu nennen, wo Steingräber (dän. Stendyngegravene) und Erdgräber in Reihen und Totenhütten gemeinsam mit einem Ganggrab vorkommen (Jørgensen 1977).

Verbreitung

Bis Anfang der 1970er Jahre lagen Befunde hauptsächlich aus dem Gebiet der Bernburger Kultur, also aus Thüringen und Sachsen-Anhalt vor. Neun Exemplare wurden in Niedersachsen erkannt, wo Totenhütten bis an die Leine verbreitet sind. Diese Ausgangslage änderte sich durch Neufunde. Dazu zählen die Holzkammer der Wartberg-Kultur (WBK) von Warburg II, Kreis Höxter in Westfalen, die Mauerkammer von Remlingen im Kreis Wolfenbüttel, die Totenhütte von Obernjesa und die Totenhütten bei Großenrode I und II und Odagsen im Landkreis Northeim in Südniedersachsen. Letztere ist aufgrund der C14-Datierung der Knochen mit der Endphase der TBK zu parallelisieren. Im Zuge des Neubaus der Bundesstraße 6 auf der Gemarkung Benzingerode, Landkreis Harz, gelang es, eine Totenhütte in außergewöhnlich guter Erhaltung zu untersuchen und zu dokumentieren (siehe: Totenhütte von Benzingerode).[3]

Datierung

In den Jahren 2010 und 2011 wurden für die Untersuchung der Chronologie drei norddeutschen Kollektivgräbern (Calden II, Grossenrode II und Odagsen I) Proben von Zahn, Schläfenbein und Kiefer von Individuen genommen und mit der bisherigen Chronologie (etwa 3300-3000 cal v. Chr.) verglichen. Dabei zeigte sich, dass die neuen Daten einen früheren Beginn der Bestattungen (um 3500 v. Chr.) andeuten.

Grabbeigaben

In den Totenhütten findet sich Keramik, darunter auch Tontrommeln.

Konstruktion

Die Anlagen wurden meist aus Spaltbohlen erbaut. Sie besitzen eine zum Teil mehrlagige steinerne Bodenpflasterung, auf der sich Beigaben und die Skelettreste fanden. Einige Anlagen wurden mit Steinpackungen verblendet. Die meisten Hütten bestehen aus einem von der Grubensohle ausgehenden Satteldach. Das aus Baumstämmen oder Spaltbohlen gebildete Dach wurde letztlich mit einem Erdhügel bedeckt. Der Zugang befand sich an der Schmalseite, die den Bau rechtwinklig abschloss.

Bronzezeit

Bekannt ist die frühbronzezeitliche Totenhütte[4] von Leubingen in einem Fürstengrab der Aunjetitzer Kultur. Sie war so gut erhalten, dass sie Dendro-datiert werden konnte. In Polen waren in der Hügelgräberbronzezeit (Trzciniec-Kultur) Totenhäuser in Grabhügeln geläufig[5]. Die Totenhütte aus Borchen-Etteln (Kreis Paderborn) bestand aus zeltartig aneinandergelehnten Eichenbohlen, die eine einzelne Bestattung bedeckten. Die Konstruktion war verbrannt und anschließend mit einem Hügel bedeckt worden. Aus Undenheim (Kreis Mainz-Bingen) ist die Totenhütte einer jungen Frau aus der Urnenfelderzeit bekannt, die reiche Beigaben enthielt[6].

Eisenzeit

Hallstattzeitliche Vierpfostenkonstruktionen in württembergischen Grabhügeln, z. B. Weilimdorf und Böblingen, wurden ebenfalls als Totenhäuser interpretiert[7].

Literatur

  • Adelheid Bach, Hans-Joachim Barthel, Werner Gall: Neolithische Totenhütte bei Gotha-Siebleben. In: Alt-Thüringen 22/23. 1987, S. 55–61
  • Günter Behm-Blancke: Die schnurkeramische Totenhütte Thüringens, ihre Beziehungen zum Grabbau verwandter Kulturen und zum neolithischen Wohnbau. In: Alt-Thüringen 1. 1953/54.
  • Hans-Jürgen Beier: Die megalithischen, submegalithischen und pseudomegalithischen Bauten sowie die Menhire zwischen Ostsee und Thüringer Wald. In: Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 1. 1991.
  • Ulrich Dirks: Verborgen seit 5000 Jahren. Ausgrabungen einer jungsteinzeitlichen Totenhütte bei Remlingen im Landkreis Wolfenbüttel. Oldenburg 1999.
  • Werner Gall, Adelheid Bach, Hans-Joachim Barthel: Neolithische Totenhütte bei Wandersleben. In: Alt-Thüringen 18. 1983, S. 7–31.
  • Klaus Günther: Die Kollektivgräber-Nekropole Warburg I-IV. 1997. ISBN 3-8053-2451-0.
  • Elke Heege: Die Häuser der Toten. Jungsteinzeitliche Kollektivgräber im Landkreis Northeim. Wegweiser zur Vor- und Frühgeschichte Niedersachsens 16. Laux, Hildesheim 1989.
  • Erik Jørgensen: Hagebrogård, Vroue Hede, Koldkur. Neolithische Gräberfelder aus Nordwest-Jütland. Akademisk Forlag, Kopenhagen 1977.
  • Mario Küßner: Das Kollektivgrab von Apfelstädt (Lkr. Gotha) und das Aufkommen von Totenhütten in Thüringen. In: J. Beran et al. (Hrsg.): Lehren – Sammeln – Publizieren. Dem Hochschullehrer, Museumsmann und Verleger Hans-Jürgen Beier zum 60. Geburtstag von Freunden und Kollegen gewidmet, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2016, ISBN 978-3-86583-980-0. S. 159–180.
  • H. Lies: Ein bronzezeitlicher Totenhügel bei Menz, Kr. Burg. Teil 1: Jüngere Steinzeit bis ältere Bronzezeit. In: Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 39. 1955, S. 115–162.
  • W. Löhlein: Totenhaus – Grabkammer -Verbrennplatz. Zur Interpretation vierpfostiger Grundrisse aus Grabhügeln Nordwürttembergs. In: Archäologisches Korrespondenzblatt 28, 1998, S. 513–522.
  • Jürgen E. Walkowitz: Das Megalithsyndrom. Europäische Kultplätze der Steinzeit (= Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas. Bd. 36). Beier & Beran, Langenweißbach 2003, ISBN 3-930036-70-3.

Einzelnachweise

  1. Mario Küßner: Das Kollektivgrab von Apfelstädt (Lkr. Gotha) und das Aufkommen von Totenhütten in Thüringen. In: Jonas Beran et al. (Hrsg.): Lehren – Sammeln – Publizieren. Festschrift Hans-Jürgen Beier. Leipzig 2016 (ISBN 978-3-86583-980-0), S. 159–180, hier S. 159.
  2. Mario Küßner: Das Kollektivgrab von Apfelstädt (Lkr. Gotha) und das Aufkommen von Totenhütten in Thüringen. In: Jonas Beran et al. (Hrsg.): Lehren – Sammeln – Publizieren. Festschrift Hans-Jürgen Beier. Leipzig 2016 (ISBN 978-3-86583-980-0), S. 159–180, hier S. 159.
  3. B. Berthold u. a.: Die Totenhütte von Benzingerode. Archäologie und Anthropologie. Arch. Sachsen-Anhalt, Sonderbd. 7 (Halle/Saale 2008)
  4. In der neueren Literatur setzt sich für die neolithischen Anlagen der Begriff Totenhaus durch, um diese stattliche baulichen Form von kleineren – meist unterirdischen Holzbauten späterer Zeit zu unterscheiden.
  5. Lothar Zotz, Schlesische Hügelgräber der Mittleren Bronzezeit mit Grabhäusern, Prähistorische Zeitschrift 27, 1936, 196–211
  6. Detert Zylmann: Ein Bestattungsplatz der Urnenfelderkultur von Undenheim, Landkreis Mainz-Bingen. In: Mainzer Zeitschrift 82, 1987, S. 199–210
  7. W. Löhlein: Totenhaus - Grabkammer -Verbrennplatz. Zur Interpretation vierpfostiger Grundrisse aus Grabhügeln Nordwürttembergs. In: Archäologisches Korrespondenzblatt 28, 1998, S. 513–522

Weblinks

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