Theodor Wiegand

Theodor Wiegand
Wiegands Zeichnung der Makestosbrücke in Mysien

Theodor Wiegand (* 30. Oktober 1864 in Bendorf, Rheinprovinz; † 19. Dezember 1936 in Berlin) war ein deutscher Klassischer Archäologe.

Leben

Theodor Wiegand wurde als ältester Sohn des Arztes Konrad Wiegand und dessen Frau Ida geboren. Nach dem Abitur in Kassel studierte er zunächst an der Ludwig-Maximilians-Universität Kunstgeschichte, Archäologie und Altertumswissenschaft. 1887 wurde er (wie Richard Du Moulin-Eckart) im traditionsreichen Corps Suevia München recipiert.[1] Dort schloss er mehrere Freundschaften, die zeitlebens hielten.[2] Als Inaktiver wechselte er an die Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin und die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. 1894 begab er sich nach Athen, wo er sich unter Wilhelm Dörpfeld an den Grabungen auf der Akropolis beteiligte. 1895 ging er als Assistent des Archäologen Carl Humann nach Priene, ein antikes kleinasiatisches Städtchen. Als jener nach drei Wochen erkrankte, führte er die Grabungskampagne fort. Nach Humanns Tod 1896 wurde er zu dessen Nachfolger als Ausgrabungsleiter in Priene und als Direktor der Berliner Museen mit Sitz in Smyrna ernannt.

Nachdem er 1899 die Freilegung Prienes, das wegen der Geschlossenheit der Stadtanlage und des guten Erhaltungszustandes der Häusergrundrisse auch das „griechische Pompeji“ genannt wird, erfolgreich abgeschlossen hatte, grub er von 1899 bis 1911 in Zusammenarbeit mit Hubert Knackfuß Teile der antiken Weltstadt und Handelsmetropole Milet aus. Hier waren bedeutende Vorarbeiten zu leisten, da der Grabungsplatz besiedelt war und das sumpfige Gelände erst trockengelegt werden musste. Die Hoffnung Wiegands, die archaische Stadt, das Milet der Naturphilosophen Thales und Anaximander wiederzufinden, das 494 v. Chr. während des Ionischen Aufstandes durch die Perser zerstört worden war, sollte sich nur bedingt erfüllen. Stattdessen stieß er auf die hellenistisch-römische Schicht mit ihren prächtigen Repräsentationsbauten, darunter das berühmte Markttor von Milet, heute eines der Hauptwerke des Berliner Pergamonmuseums.

Marie Wiegand (geb. von Siemens) auf einem Gemälde von Max Koner
Das von Peter Behrens erbaute Haus Wiegand beherbergt heute das Deutsche Archäologische Institut
Säulenvorhof (Peristyl) des Hauses Wiegand

Weitere Ausgrabungen fanden in Didyma (1905 bis 1911) und auf Samos (1910 bis 1911) statt. Wiegands letzte Grabung war 1927 die Wiederaufnahme der Untersuchung von Pergamon, wo er die Arsenale auf der Burg entdeckte und das vor der Stadt gelegene Heiligtum des Asklepios freilegte. Am 14. Januar 1900 heiratete er Marie von Siemens, eine Tochter des Bankiers Georg von Siemens, mit der er zwei Söhne hatte.

Theodor Wiegand war von 1899 bis 1911 auswärtiger Direktor der Berliner Museen in Konstantinopel und darüber hinaus wissenschaftlicher Attaché bei der deutschen Botschaft in Konstantinopel. Als somit diplomatischer Arm der Museen vertrat er die archäologischen Interessen Deutschlands im Osmanischen Reich und koordinierte die immer umfangreicheren deutschen Grabungen im Orient, u. a. auch in Mesopotamien.

1912 ging Wiegand zurück nach Berlin, um die Leitung der Antikenabteilung der Museen in Berlin zu übernehmen. 1911/1912 erbaute der Architekt Peter Behrens für Wiegands Familie das „Haus Wiegand“, eine repräsentative neoklassizistische Villa in Berlin-Dahlem, in der heute das Deutsche Archäologische Institut residiert.

Im Ersten Weltkrieg leitete Wiegand als Hauptmann der Landwehrartillerie im Asien-Korps das Deutsch-Türkische Denkmalschutzkommando, dem unter anderem die Architekten Karl Wulzinger, Carl Watzinger und Walter Bachmann angehörten. Notaufnahmen beziehungsweise Surveys unter anderem von Damaskus, Petra und im Sinai werden nach dem Krieg publiziert. 1917 bis 1918 war Wiegand auch für den Abschluss der 1898 nach dem dortigen Besuch von Kaiser Wilhelm II. begonnenen deutschen Grabungsaktivitäten in Baalbek im Libanon verantwortlich, deren Ergebnisse er 1921 bis 1924 in einem dreibändigen Werk bei de Gruyter publizierte.

Die Tätigkeit im Libanon fiel in die Zeit der militärischen Besatzung dieser bis 1915 unter einem armenisch-christlichen Gouverneur selbstverwalteten Provinz durch deutsche und türkische Truppen, bei der ca. 100.000 – von zu Kriegsbeginn 450.000 – überwiegend christliche Einwohner der Provinz aufgrund von Hunger und Seuchen infolge einer alliierten Seeblockade und Requirierungen durch die türkische Armee starben (Hungersnot im Libanon 1916–1918). Wiegand fertigte Aufzeichnungen über diese Katastrophe in seinen später unter dem Titel „Halbmond im letzten Viertel“ veröffentlichten Briefen an.

Als Direktor der Antikenabteilung der Museen in Berlin war Wiegand für den Aufbau und die Einrichtung des Pergamonmuseums auf der Berliner Museumsinsel zuständig. 1916 erwarb er die Thronende Göttin aus Tarent für die Berliner Museen und 1925 die hocharchaische Berliner Göttin aus Keratea, Attika. 1922 wurde Wiegand als ordentliches Mitglied in die Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen.[3]

Im Jahr seines Ausscheidens aus dem Staatsdienst wurde er 1930 zum auswärtigen Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften gewählt.[4] Ab 1931 war er Mitglied des Ordens Pour le Mérite für Wissenschaft und Künste, 1932 erhielt er den Bayerischen Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst. Im gleichen Jahr übernahm er die Präsidentschaft des Archäologischen Instituts des Deutschen Reiches. In dieser Funktion versuchte er in der Frühphase des Dritten Reichs eine ideologische Einflussnahme seitens des Amtes Rosenberg auf die Klassische Archäologie zu verhindern, obwohl er 1934 den Wahlaufruf „Deutsche Wissenschaftler hinter Adolf Hitler“ im Völkischen Beobachter unterschrieb.[5]

Im Jahr 1935 ernannte ihn seine Geburtsstadt Bendorf zum Ehrenbürger. In seinem letzten Lebensjahr musste er hinnehmen, dass die von ihm vorgesehene Ernennung des Archäologen und Bauforschers Armin von Gerkan zum Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts Athen durch eine Intrige hintertrieben wurde und mit Walther Wrede ein Funktionär der NSDAP die Stelle erhielt.

Das Grab von Theodor und Marie Wiegand auf dem Waldfriedhof Dahlem vor der Abräumung (2014)

Theodor Wiegand starb im Dezember 1936 im Alter von 72 Jahren in Berlin an den Spätfolgen einer Malaria. Die Beisetzung erfolgte auf dem Waldfriedhof Dahlem (Grablage: 014-259).[6] Auch die Witwe Marie Wiegand geb. von Siemens wurde 1960 dort bestattet. Zudem erinnerte eine Inschrift am Grabstein an den gemeinsamen Sohn Werner Wiegand, der Ende des Zweiten Weltkriegs als Soldat in Schlesien gefallen war.

Die letzte Ruhestätte von Theodor Wiegand war von 1990 bis 2014 als Ehrengrab des Landes Berlin gewidmet. Nach Auslaufen der Widmung wurde die Grabstätte bereits 2015 wegen Platzmangels auf dem Friedhof abgeräumt.[7]

Wiegand ist Namensgeber der Theodor Wiegand Gesellschaft. Gesellschaft der Freunde des Deutschen Archäologischen Instituts.[8]

Literatur

  • Hans Lietzmann, Martin Schede, Carl Weickert, Friedrich Schmidt-Ott: Gedächtnisreden für Theodor Wiegand. Archäologisches Institut des Deutschen Reiches, Berlin 1937.
  • Gerhart Rodenwaldt: Gedächtnisrede auf Theodor Wiegand. Sonderausgabe aus den Sitzungsberichten der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Öffentliche Sitzung vom 1. Juli 1937. Verlag der Akademie der Wissenschaften, Berlin 1937.
  • Carl Watzinger: Theodor Wiegand. Ein deutscher Archäologe. Beck, München 1944.
  • Gerhard Wiegand (Hrsg.): Halbmond im letzten Viertel. Briefe und Reiseberichte aus der alten Türkei von Theodor und Marie Wiegand 1895 bis 1918. Bruckmann, München 1970, ISBN 3-7654-1375-5.
  • Auf den Spuren der Antike. Theodor Wiegand, ein deutscher Archäologe. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Städtischen Museum Bendorf vom 22. März bis 30. September 1985. Stadtverwaltung, Bendorf 1985, ISBN 3-923888-01-5.
  • Olaf Matthes: Theodor Wiegand und der Erwerb der „Thronenden Göttin“ für das Berliner Antikenmuseum. In: Thomas W. Gaehtgens, Martin Schieder (Hrsg.): Mäzenatisches Handeln. Studien zur Kultur des Bürgersinns in der Gesellschaft. Festschrift für Günter Braun zum 70. Geburtstag (= Bürgerlichkeit, Wertewandel, Mäzenatentum. Band 1). Fannei und Walz, Berlin 1998, ISBN 3-927574-44-9, S. 82–104.
  • Johannes Althoff: Ein Meister des Verwirklichens. Der Archäologe Theodor Wiegand. In: Klaus Rheidt, Barbara A. Lutz (Hrsg.): Peter Behrens, Theodor Wiegand und die Villa in Dahlem. von Zabern, Mainz 2004, ISBN 3-8053-3374-9, S. 134–159.
  • Charlotte Trümpler: Das Deutsch-Türkische Denkmalschutz-Kommando und die Luftbildarchäologie. In: Dies. (Hrsg.): Das große Spiel. Archäologie und Politik zur Zeit des Kolonialismus (1860–1940). Begleitbuch zur Ausstellung Das Große Spiel – Archäologie und Politik, Ruhr-Museum, Weltkulturerbe Zollverein, Essen, 11. Februar–13. Juni 2010. DuMont, Köln 2008, ISBN 978-3-8321-9063-7, S. 474–483.
  • Justus Cobet: Wiegand, Theodor. In: Peter Kuhlmann, Helmuth Schneider (Hrsg.): Geschichte der Altertumswissenschaften. Biographisches Lexikon (= Der Neue Pauly. Supplemente. Band 6). Metzler, Stuttgart/Weimar 2012, ISBN 978-3-476-02033-8, Sp. 1307–1309.
  • Ioannis Andreas Panteleon: Eine Archäologie der Direktoren. Die Erforschung Milets im Namen der Berliner Museen 1899–1914 (= Mittelmeerstudien. Bd. 5). Schöningh, Paderborn 2015, ISBN 978-3-7705-5676-2.
  • Johannes Althoff und Frederick Jagust mit einem Beitrag von Stefan Altekamp: Theodor Wiegand (1864–1936). In: Gunnar Brands / Martin Maischberger (Hrsg.): Lebensbilder. Klassische Archäologen und der Nationalsozialismus, Bd. 2,2 (Forschungscluster 5, Geschichte des Deutschen Archäologischen Instituts im 20. Jahrhundert). Verlag Marie Leidorf, Rahden/Westfalen 2016, ISBN 978-3-86757-394-8.

Weblinks

Commons: Theodor Wiegand – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Theodor Wiegand – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Kösener Corpslisten 1960, 114/972
  2. Gabriele Mietke: Theodor Wiegand und die byzantinische Kunst. Reichert, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-95490-042-8, S. 5.
  3. Mitglieder der Vorgängerakademien. Theodor Wiegand. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 14. Mai 2017.
  4. Holger Krahnke: Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1751–2001 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. Folge 3, Bd. 246 = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Folge 3, Bd. 50). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-82516-1, S. 258.
  5. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Fischer, Frankfurt 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 587.
  6. Hans-Jürgen Mende: Lexikon Berliner Begräbnisstätten. Pharus-Plan, Berlin 2018, ISBN 978-3-86514-206-1. S. 590.
  7. Carolin Brühl: Ehrengräber mit Verfalsdatum. In: Berliner Morgenpost. 22. November 2015. Abgerufen am 16. November 2016.
  8. Theodor Wiegand Gesellschaft. Gesellschaft der Freunde des Deutschen Archäologischen Instituts (Bonn).

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